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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Autoren: Philip Kerr
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so daß sein ganzer Körper infiziert wurde, waren meine Gedanken meistens bei meinem Vaterland und seiner eigenen gleichermaßen entsetzlichen Krankheit. Erst hier in Dachau war ich in der Lage, zu beurteilen, in welchem Maß Deutschlands Atrophie zur Nekrose geworden war; und genau wie für den armen Mutschmann würde es kein Morphium geben, wenn die Schmerzen schlimmer wurden.
    Es gab ein paar Kinder in Dachau, geboren von Frauen, die dort in Haft waren. Einige dieser Kinder hatten nie ein anderes Leben als das im Lager kennengelernt. Sie spielten unbehelligt auf dem Gelände, von allen Wachen geduldet, von einigen sogar geliebt, und sie konnten fast überall hingehen, mit Ausnahme der Krankenbaracke. Die Strafe für Ungehorsam war eine schwere Tracht Prügel.
    Mendelssohn versteckte unter einer der Pritschen ein Kind mit einem gebrochenen Bein. Der Junge war beim Spielen in den Steinbruch gefallen. Er hatte drei Tage mit geschientem Bein im Versteck gelegen, als die SS kam, um ihn zu holen. Er bekam einen solchen Schreck, daß er seine Zunge verschluckte und erstickte.
    Als die Mutter des toten Jungen kam, um nach ihm zu sehen, und man ihr die schlimme Nachricht mitteilen mußte, war Mendelssohn ein wahres Musterbild beruflichen Mitgefühls. Doch später, nachdem die Frau gegangen war, hörte ich, wie er leise weinte.
    «He, aufstehen.» Ich schoß hoch, als ich die Stimme unter mir hörte. Nicht, daß ich etwa eingeschlafen war, ich hatte Mutschmann bloß nicht so genau im Auge behalten, wie ich es hätte tun müssen. Jetzt hatte ich keine Ahnung, wieviel wertvolle Zeit bereits verstrichen war, in der er bei Besinnung gewesen war. Ich kletterte vorsichtig runter und kniete neben seiner Pritsche. Es bereitete mir immer noch große Schmerzen, auf meinem Hintern zu sitzen. Er grinste furchterregend und packte meinen Arm.
    «Es ist mir eingefallen», sagte er.
    «Ach ja?» sagte ich hoffnungsvoll. «Und was ist dir eingefallen? »
    «Wo ich dein Gesicht gesehen habe.» Ich versuchte, gleichgültig auszusehen, obwohl mein Herz in der Brust hämmerte. Wenn er glaubte, daß ich ein Polyp war, dann konnte ich einpacken. Ein ehemaliger Sträfling wird niemals Freund eines Polizisten. Und hätte es uns beide auf eine einsame Insel verschlagen, er würde mir trotzdem ins Gesicht spucken.
    «Aha», sagte ich leichthin. «Wo war das denn?» Ich schob ihm die halbgerauchte Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an.
    «Du warst mal Hausdetektiv», krächzte er.     Ich habe da mal was ausbaldowert, um einen Job zu erledigen.» Er kicherte rauh. «Hab ich recht?»
    «Du hast ein gutes Gedächtnis», sagte ich und steckte mir selber eine Zigarette an. «Das ist ziemlich lange her.»
    Sein Griff wurde stärker. «Keine Angst», sagte er. «Ich werd's keinem erzählen. Du warst ja schließlich kein Polyp, oder? »
    «Du sagst, du hast was ausbaldowert. In welcher Branche hast du denn gearbeitet? »
    «Ich war Safeknacker. »
    «Ich kann mich nicht erinnern, daß der Hotelsafe ausgeraubt worden wäre», sagte ich. «Wenigstens nicht, solange ich dort war.»
    «Das liegt daran, daß ich nichts mitgenommen hab», sagte er stolz. «Aber es war nichts Wertvolles da, was man hätte mitnehmen können. Im Ernst.»
    «Das kannst du mir nicht weismachen», sagte ich. «Es wohnten immer reiche Leute im Hotel, und es waren immer Wertsachen im Safe. Es kam sehr selten vor, daß nichts Wertvolles im Safe war.»
    «Das ist richtig», sagte er. «Ich hatte bloß Pech. Es war wirklich nichts da, was ich hätte mitnehmen können, denn ich hätte es nie verscherbeln können. Das ist der Witz bei der Sache, weißt du. Es hat keinen Sinn, was mitzunehmen, was du nicht loswerden kannst.»
    <, sagte ich.
    «Ich will mich nicht rühmen», sagte er. «Ich war der Beste. Es gab nichts, was ich nicht knacken konnte. Jetzt nimmst du wahrscheinlich an, daß ich ein reicher Mann bin, oder? »
    Ich zuckte die Achseln. «Vielleicht bist du reich. Ich habe auch erwartet, daß du im Knast bist, und das bist du.» «Eben weil ich ein reicher Mann bin, verstecke ich mich hiep>, sagte er. «Ich hab's dir erzählt, nicht wahr?»
    «Du hast etwas in der Art erwähnt, ja.» Ich ließ mir Zeit, ehe ich hinzufügte: «Und was besitzt du, was dich so reich und begehrt macht? Geld? Juwelen?»
    Er stieß wieder ein krächzendes Lachen aus. «Etwas Besseres», sagte er. «Macht.»
    «In welcher Form oder Gestalt? »
    «Papiere »,
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