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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Autoren: Philip Kerr
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    «Wofür? »
    « Hab einem Juden geholfen, in meiner Arbeitskolonne. » « Das war bekloppt», sagte er. « Die sind sowieso alle
    tot. Riskier's meinetwegen für einen, der 'ne halbe Chance hat, aber nich für 'n Juden. Die wissen schon lange nich mehr, was Glück ist.»
    « Na ja, du hast auch nicht grade den großen Preis gewonnen.»
    Er lachte. «Das is wohl wahr», sagte er. «Ich hab nie damit gerechnet, ich könnte krank werden. Ich dachte, ich würde dieses Dreckloch überstehen. Hatte 'nen guten Job in der Schusterwerkstatt. »
    « Du bist übel dran», sagte ich zustimmend. «Ich werde sterben, nich wahr? »
    « Der Arzt sagt das nicht.»
    «Is nich nötig, daß du mir diesen Käse erzählst. Mir macht niemand was vor. Jesus, ich würd alles für 'n Stäbchen geben.»
    «Ich auch», sagte ich.
    «Sogar 'ne Selbstgedrehte würde mir reichen.» Er machte eine Pause. Dann sagte er: «Es gibt was, das ich dir erzählen muß.»

    Ich versuchte zu verbergen, wie mir diese Worte die Kehle zuschnürten. « Ja? Was denn? »
    «Vögle keine Frau in diesem Lager. Ich bin ziemlich sicher, daß ich's mir dabei geholt hab.»
    «Nein, werd ich nicht. Danke, daß du's mir gesagt hast.»
    Am nächsten Tag verkaufte ich meine Essensration für ein paar Zigaretten und wartete drauf, daß Mutschmann aus seinen Fieberträumen erwachte. Es dauerte fast den ganzen Tag. Als er schließlich das Bewußtsein wiedererlangte, sprach er zu mir, als habe unsere erste Unterhaltung erst vor ein paar Minuten stattgefunden.
    «Wie geht's? Was machen die Striemen?»
    « Tun weh», sagte ich und stand von meiner Pritsche auf. «Ich wette, dieser Hurensahn mit der Peitsche geilt sich
    daran auf wie an 'nem Fick.» Er neigte sein ausgezehrtes Gesicht zu mir und sagte: «Weißt du, es kommt mir so vor, als hätte ich dich schon mal gesehen.»
    «Na ja, laß mich mal nachdenken. Im Tennisclub Rot Weiß? Im Herrenclub ? Im Excelsior vielleicht? »
    «Du verarschst mich.» Ich zündete eine Zigarette an und steckte sie ihm zwischen die Lippen. «Ich wette, es war in der Oper - ich bin ein großer Opernliebhaber, weißt du. Oder war's vielleicht bei Görings Hochzeit?» Seine dünnen, gelben Lippen verzogen sich zu einem matten Lächeln. Dann sog er den Tabakrauch ein, als wär er reiner Sauerstoff.
    «Du bist ein verdammter Schwindler», sagte er und genaß die Zigarette. Ich nahm sie für eine Sekunde aus seinen Lippen, bevor ich sie wieder dazwischensteckte. «Nein, es war an keinem dieser Orte. Es wird mir schon einfallen.»
    «Ganz bestimmt», sagte ich und hoffte im Ernst darauf.
    Einen Augenblick dachte ich daran «Zuchthaus Tegel» zu sagen, aber ich ließ es sein. Ob krank oder nicht, er konnte das falsch auffassen, und dann hätte ich bei ihm verspielt.

    « Was bist du? Sozi? Kommunist? » «Schwarzmarkthändler. Und du?»
    Sein lächelnder Mund wurde zu einem Riß im Gesicht.
    «Ich verstecke mich.» «Hier? Vor wem?» «Vor allen», sagte er.
    «Mensch, da hast du dir 'ne Hölle als Versteck ausgesucht. Was bist du? Verrückt? »
    «Niemand kann mich hier finden », sagte er. «Ich will dich was fragen: Wo würdest du einen Regentropfen verstekken?» Ich blickte ihn verwirrt an, und er antwortete: «Unter einem Wasserfall. Falls du's nicht weißt, das ist chinesische Philosophie. Ich meine, du würdest ihn nie finden, oder? »
    «Nein, ich denke nicht. Aber du mußt verdammt verzweifelt gewesen sein», sagte ich.
    «Krank zu werden das war einfach Pech Trotzdem,
    wär ich rausgekommen in einem Jahr oder so in dieser
    Zeit ... hätten sie's aufgegeben, mich zu suchen.»
    «Wer?» fragte ich. «Warum sind sie hinter dir her? » Seine Augenlider flatterten, und die Zigarette entfiel seinen leblosen Lippen und auf die Decke. Ich zog ihm die
    Decke bis unter das Kinn und drückte die Zigarette aus, in der Hoffnung, daß er beim nächsten Mal lange genug bei Besinnung sein würde, um die andere Hälfte zu rauchen.
    Während der Nacht wurde Mutschmanns Atem flacher, und am Morgen erklärte Mendelssohn, er stünde kurz vor dem Koma. Ich konnte nichts anderes tun als auf meinem Bauch liegen, runtergucken und warten. Ich dachte viel an Inge, aber meistens dachte ich an mich selbst. Die Art der Bestattung war in Dachau ganz simpel: Die Leichen wurden im Krematorium verbrannt, und das war's. Ende der Geschichte. Doch als ich mit ansah, wie die Gifte ihre schreckliehe Wirkung auf Kurt Mutschmann ausübten, seine Leber zerfraßen und seine Milz,
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