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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Autoren: Philip Kerr
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vor einer schweren Holztür Aufstellung nehmen. Eine Menagerie von Wächtern beäugte uns kritisch und sadistisch.

    «Seht ihr diese verdammte Tür?» brüllte der Rottenführer, das Gesicht gehässig verzogen, den Rachen aufgerissen wie ein fressender Haifisch. «Wenn ihr da rauskommt, seid ihr keine Männer mehr für den Rest eures Lebens. Wir spannen eure Eier in einen Schraubstock, kapiert? Dann kriegt ihr kein Heimweh mehr. Was wollt ihr dann noch zu Hause bei euren Frauen und Freundinnen, wenn ihr nichts mehr habt, was ihr mitbringen könnt? » Er brach in ein brüllendes Gelächter aus, dem sich die Menagerie anschloß, während ein paar Männer den ersten Gefangenen, der um sich schlug und schrie, in den Raum schleppten und die Tür hinter ihm schlossen. Ich merkte, daß die anderen Gefangenen vor Angst schlotterten; aber ich schätzte, daß es sich um etwas gehandelt hatte, das der Rottenführer unter einem Witz verstand. So spielte ich bewußt den Ruhigen, als ich an die Reihe kam und zur Tür geführt wurde. Als ich drin war, schrieben sie meinen Namen und meine Adresse auf und dann, nachdem sie mich wegen meiner angeblichen Schwarzhändlertätigkeit beschimpft hatten, schlugen sie mich wieder zusammen.
    Nachdem wir in den Haupttrakt des Gefängnisses zurückgekehrt waren, wurde ich auf schmerzhafte Art in meine Zelle geführt. Auf dem Weg dorthin hörte ich zu meiner Überraschung einen großen Männerchor das Lied Wenn du noch eine Mutter hast singen. Erst viel später erfuhr ich, warum dieser Chor existierte: Er sang auf Befehl der SS, um die Schreie aus den Folterkammern zu übertönen, wo man die Gefangenen mit nassen Nilpferdpeitschen auf die nackten Hinterbacken schlug.
    Als Ex-Polizist hatte ich im Lauf der Jahre nicht wenige Gefängnisse von innen gesehen: Tegel, Sonnenburg, Plötzensee, Celle, Brauweiler; in jedem davon geht es hart zu, und es herrscht eine strenge Disziplin; aber keines davon reichte an die Brutalität und die entmenschlichte Verkommenheit des Columbia-Hauses heran, und es dauerte nicht lange, ehe ich mich fragte, ob Dachau überhaupt noch schlimmer sein könne.
    Im Columbia-Haus waren nahezu eintausend Gefangene untergebracht. Für einige, wie für mich zum Beispiel, war es ein Durchgangsgefängnis, in dem sie nur kurz blieben, ehe sie ins KZ kamen; für andere war es ein Durchgangslager, in dem sie lange blieben, ehe sie ins KZ kamen. Und einige wenige würden es nur in einem Kiefernsarg verlassen.
    Als Neuling und Gefangener für kurze Zeit hatte ich eine Zeile für mich. Da es aber nachts kalt war und es keine Dekken gab, hätte ich gegen ein bißchen menschliche Wärme in der Nähe nichts einzuwenden gehabt. Das Frühstück bestand aus grobem Vollkornbrot und Muckefuck. Zu Mittag gab es Brot und Kartoffelbrei. Das Klo war eine Grube, über die eine Planke gelegt war, und man war gezwungen, jedesmal in Gesellschaft neun anderer Gefangener zu scheißen. Einmal sägte ein Wärter die Planke an, und ein paar Gefangene landeten in der Senkgrube. Im Columbia-Haus wußte man einen guten Witz zu schätzen.
    Ich war sechs Tage dort, als ich eines Nachts gegen Mitternacht den Befehl erhielt, mich in eine Wagenladung von Gefangenen einzureihen, die zum Bahnhof Putiitzstraße und von dort nach Dachau transportiert werden sollten.
    Dachau liege fünfzehn Kilometer von München entfernt, erzählte mir jemand im Zug, und sei das erste KZ im Reich. Das erschien mir nur angemessen, hatte doch München den Ruf, der Geburtsort des Nationalsozialismus zu sein. Um die Überreste eines alten Sprengstoffwerks herum gebaut, liegt das Lager ungewöhnlich nahe an Ackerland in der schönen bayerischen Landschaft. Im Grunde ist die Landschaft das einzige, was an Bayern angenehm ist. Die Leute sind es bestimmt nicht. Ich war mir sicher, daß Dachau mich in dieser Hinsicht nicht enttäuschen würde. Im ColumbiaHaus erzählte man, Dachau sei das Muster für alle späteren Lager: Es gebe dort sogar eine spezielle Schule, wo man SS Leute ausbilde, damit sie noch brutaler wurden. Es war keine Lüge.
    Mit den üblichen Fußtritten und Kolbenhieben wurden wir aus den Waggons und zum Lagereingang getrieben. Dieser wurde von einem großen Wachhaus umschlossen, unter dem sich ein Tor befand, dessen eisernes Gitterwerk in der Mitte die Aufschrift trug: «Arbeit macht frei». Dieser Spruch gab manchen Gefangenen Anlaß zu verächtlicher Heiterkeit, doch wagte niemand etwas zu sagen aus Furcht, zusammengedroschen
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