Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
zu werden.
    Ich konnte mir eine Menge Dinge vorstellen, die mich frei machen würden, jedoch Arbeit war nicht dabei: Nach fünf Minuten in Dachau schien einem der Tod erstrebenswerter.
    Sie trieben uns auf einen freien Platz, eine Art Paradeplatz, im Süden von einem langen Gebäude mit einem Steildach flankiert. Nach Norden hin, zwischen scheinbar endlosen Reihen von Baracken verlaufend, zog sich eine breite, gerade Straße, gesäumt von großen Pappeln. Mein Mut sank, als mir das ganze Ausmaß der Aufgabe dämmerte, die vor mir lag. Dachau war riesig. Allein um Mutschmann zu finden, würde ich vielleicht Monate brauchen; und dann mußte ich mich noch so überzeugend bei ihm einschmeicheln, daß er mir verriet, wo er die Papiere versteckt hatte. Ich begann mich zu fragen, ob die ganze Sache von seiten Heydrichs nicht der ungeheuerlichste Auswuchs von Sadismus war.
    Der KZ-Kommandant kam aus der langen Baracke, um uns zu begrüßen. Wie jeder in Bayern, hatte er in Sachen Gastfreundschaft eine Menge zu lernen. Er hatte vorwiegend Strafen im Angebot. Er sagte, es gebe mehr als genug prächtige Bäume, um jeden von uns zu hängen. Er schloß, indem er uns die Hölle prophezeite, und ich hatte keinen Zweifel, daß er sein Wort halten würde. Aber es gab wenigstens frische Luft. Das ist von den bei den Dingen, die man über Bayern sagen kann, das erste. Das zweite hat etwas mit dem Brustumfang der bayerischen Frauen zu tun.
    In Dachau gab es den drolligsten kleinen Klamottenladen.
    Und einen Frisörsalon. Ich fand einen hübschen gestreiften Anzug von der Stange, ein Paar Holzschuhe, und dann ließ ich mir die Haare schneiden. Ich hätte gern um ein wenig Haaröl gebeten, aber das hätte man ebensogut auf den Boden gießen können. Die Lage begann sich zu bessern, als ich drei Decken bekam, was gegenüber dem Columbia-Haus eine Verbesserung war, und als ich einer arischen Baracke zugeteilt wurde. Darin hausten hundertfünfzig Männer. Jüdische Baracken mußten die dreifache Menge aufnehmen.
    Es stimmte, was man sagte: Es gibt immer jemanden, der noch schlimmer dran ist als du selbst. Das heißt, wenn man nicht das besondere Pech hatte, Jude zu sein. Die Anzahl der jüdischen Häftlinge in Dachau war nicht groß, doch sie waren in jeder Hinsicht am schlimmsten dran. Abgesehen vielleicht von der Tatsache, daß sie über die nötigen Mittel verfügten, sich die Freiheit zu erkaufen. In einer arischen Baracke lag die Todesrate bei einem Mann pro Nacht, in einer jüdischen eher zwischen sieben und acht.
    Dachau war kein Ort für einen Juden.
    Im allgemeinen fand sich in Dachau das komplette Spektrum der Nazigegner, ganz zu schweigen von denen, die von den Nazis selber mit unversöhnlichem Haß verfolgt wurden. Da waren Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschaftler, Richter, Rechtsanwälte, Ärzte, Lehrer, Offiziere. Republikanische Soldaten aus dem Spanischen Bürgerkrieg, Zeugen Jehovas, Freimaurer, katholische Priester, Zigeuner, Juden, Anthroposophen, Homosexuelle, Landstreicher, Diebe und Mörder. Mit Ausnahme einiger Russen und von ein paar ehemaligen Mitgliedern des österreichischen Kabinetts waren alle deutsche Staatsbürger. Ich begegnete einem Sträfling, der Jude war. Er war auch schwul. Und, als wäre das nicht genug, war er auch noch Kommunist. Das brachte ihm drei Winkel ein. Bei so viel Pech hätte er auch von einem fahrenden Motorrad springen können.
    Zweimal täglich mußten wir uns zum Appell versammeln, und nach dem Aufruf der Namen kam das «Hindenburg-AImosen », das Auspeitschen. Sie schnallten den Mann oder die Frau auf eine Art Wippe und gaben ihnen im Durchschnitt fünfundzwanzig Hiebe auf den nackten Hintern. Ich sah viele Opfer, die sich dabei selber vollschissen. Beim ersten Mal schämte ich mich für sie; aber danach erzählte mir jemand, das sei die beste Möglichkeit, dem Mann, der die Peitsche schwang, die Konzentration zu rauben.
    Der Appell war für mich die beste Gelegenheit, mir die anderen Gefangenen anzusehen. Ich legte im Geist ein Verzeichnis der Männer an, die ich ausgeschieden hatte, und im Lauf eines Monats hatte ich mehr als dreihundert Männer von meiner Liste gestrichen.
    Ich vergesse nie ein Gesicht. Das ist eine der Fähigkeiten, die dich zu einem guten Polizisten machen, und es war auch einer der Hauptgründe, die mich dazu bewogen hatten, zur Polizei zu gehen. Dieses Mal jedoch hing mein Leben davon ab. Aber es kamen immer wieder neue Häftlinge, die mein System
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher