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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman
Autoren: Haymon
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meinen?“ Gregor drehte erschrocken seinen Kopf in meine Richtung, als hätte ich ihn bei etwas ertappt.
    „Was meinst du, Gregor“, sagte ich, „wenn du etwas nachholen könntest in deinem Leben, was wäre das?“
    „Was soll das“, stieß Gregor hervor, „warum willst du das wissen?“
    „Weil du mein Bruder bist“, sagte ich, „und weil ich keine Ahnung davon habe, was dir in deinem Kopf herumgeht.“
    Aber Gregor wollte über etwas, was vollkommen irreal war, nicht reden. Etwas nachholen, so eine Dummheit, schnaubte er. In seinem Kopf ging nichts darüber herum, was man aus seinem Leben lieber gestrichen hätte, aus Scham vielleicht, oder weil man sich schwertat, daran denken zu müssen. Aber vielleicht gab es auch wirklich nichts, was Gregor in der Wiederholung hätte besser machen wollen.
    „Und wie war das im Sterbezimmer deines Vaters“, setzte jetzt Angelina nach, „nicht einmal das hast du ausgehalten, gibs doch zu. Du hast dich vors Zimmer geflüchtet, wo wir dich gefunden haben. Du hast es nicht geschafft, deinem Vater beizustehen, ihm die Tür aufzuhalten, die letzte Tür.“
    „Ach, lasst mich doch in Ruhe“, sagte Gregor und drehte sich weg. Er nahm sein Mobiltelefon aus der Innentasche seiner Jacke, aus den Augenwinkeln nahm ich war, wie er den SMS -Eingang kontrollierte. Er las halblaut vor sich hin und tippte auf den Tasten herum, so wütend und entschlossen, als schriebe er um sein Leben.
    Ein Wagen kam uns entgegen, der Fahrer blendete auf und zog an uns vorbei, dann waren wir allein auf der Passstraße. Es war spät, trotzdem schien es mir sonderbar, dass außer uns niemand mehr unterwegs war. Der Schneefall wurde dichter, je höher wir die Straße hinaufkletterten. Ich schaltete die Nebelscheinwerfer ein und achtete darauf, langsam zu fahren, denn ich hatte auf meinem alten Mercedes nur Sommerreifen aufgezogen. Schließlich war es Ende August, noch viel zu früh für Schnee, und auch vom Verkehrsfunk, den ich zwischendurch angestellt hatte, war keinerlei Warnung gekommen.
    Als wir die Passhöhe erreichten, bog ich von der Straße ab und lenkte den Wagen über den Parkplatz des Gasthofes bis knapp vor den Eingang. Es war dunkel und still, Gregor und Angelina hatten den Atem angehalten, seit das Heck des Wagens in den letzten Kehren immer stärker geschlingert hatte. Der große Parkplatz, der an Sommertagen aus allen Nähten platzte, war vollkommen leer. Das einzige Geräusch, das man vernahm, war das Knirschen des Schnees unter den Rädern, als ich den Wagen ausrollen ließ.
    Wir stiegen aus, Gregor als Erster, dann Angelina und ich, und atmeten erleichtert auf. Jetzt waren wir hier, im Eingang des Cafés brannte Licht, so als hätte es noch nicht geschlossen. Über das niedrige Gebäude zog Nebel herein und wir beeilten uns, eine Unterkunft für die Nacht zu finden. An ein Weiterfahren war nicht zu denken, auch wenn Gregor eine wichtige Sitzung der Parteileitung versäumte. Er musste das Geld für seinen Wahlkampf auftreiben, er musste seine Leute hinter sich kriegen, wie er sagte, und ärgerte sich, dass er hier festsaß. Er aß gerade zwei Bissen und überlegte, wie er doch noch ins Tal kommen könnte. Aber als auch der Besitzer des Gasthofes sich weigerte, Schneeketten auf seinen Wagen aufzuziehen und Gregor in die Stadt zu bringen, gab er sich geschlagen, zog sein Mobiltelefon aus der Tasche und begann zu telefonieren.
    Angelina und ich saßen allein in einer Ecke des Lokals, Gregor war nach draußen gegangen, damit er in Ruhe reden konnte. Von weitem sahen wir ihn, wie er über die Terrasse ging, sein Mobiltelefon ans Ohr gepresst, er gestikulierte und schrie in den Schneefall, der alle Geräusche verschluckte.
    Die Bedienung lehnte gelangweilt hinter der Kaffeemaschine, die Kopfhörer eines MP3-Players im Ohr, und hatte die Augen geschlossen. Sie ist beinahe so blond wie Irina, dachte ich, konnte aber die beiden Krankenschwestern, die auf diesen Namen hörten, nicht mehr unterscheiden. Angelina legte eine Hand auf meine und meinte, dass sie sich auch nicht mehr so genau an alles erinnern könne, was in den letzten Tagen passiert war.
    „Das wird schon wieder“, sagte ich.
    „Und du“, sagte sie, „möchtest du etwas nachholen in deinem Leben?“
    „Ja“, sagte ich.
    „Etwas, wofür du dich schämst?“, fragte sie.
    „Nicht, was du meinst“, sagte ich und dann sah ich Gregor, wie er draußen im Schneetreiben wie für ein imaginäres Publikum die Faust ballte, sein
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