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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman
Autoren: Haymon
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noch auf ihr Zimmer, wo der Fernseher lief. Gregor lag im Bett und schlief, und im Schlaf murmelte er leise vor sich hin.
    Ich küsste Angelina auf den Mund und dann ging ich. Ich hatte ihr nicht gesagt, dass sie mit dem falschen Mann lebte, und war glücklich, es nicht getan zu haben. Und Vater war tot, das fiel mir auch ein, als ich aus dem Aufzug trat und die leere Hotelhalle durchquerte, Vater war tot und es war okay. Die Ordnung der Dinge war wiederhergestellt, es war im Grunde nichts Besonderes passiert und auch der automa-tische Türöffner meines Wagens funktionierte so, wie es sein sollte.

20
    Die Kremierung war ohne großen bürokratischen Aufwand vonstatten gegangen, und für ein Mal hatten Gregors Beziehungen nach ganz oben, die er sich zugute hielt und auf die er immer gerne hinwies, keine Rolle gespielt. Eine trauernde Witwe und drei anwesende Kinder genügten, dass man keine verfänglichen Fragen stellte oder irgendwelche Papiere verlangte. Wir setzten die Urne mit dem Aschehäufchen an einem frostigen Spätsommermorgen auf dem Waldfriedhof bei, in einem Grab, das Klara Hubmann kurz nach der Wiedervereinigung für sich reserviert hatte. Gleich darauf brachten wir Klara in ihre Wohnung zurück, holten unser Gepäck aus den Hotels, ich zwängte Vaters plumpen Flugkoffer zwischen Angelinas und Gregors Designertaschen, und schon waren wir auf der Autobahn. Zu Beginn wechselten Angelina und ich uns am Steuer ab und Gregor war froh, dass er nicht fahren musste.
    Es war eine eigenartige Stimmung zwischen uns, die fast etwas Leichtes, Heiteres hatte. Gregor merkte man an, dass ihm die Begegnung mit den Berliner Politgrößen gut getan und ihn in gewisser Weise über die Niederungen der Kleinstadtpolitik erhoben hatte. Mit ungewohnter Distanz erzählte er von den Gerüchten um den Rücktritt des Bürgermeisters, die auch lange danach nicht verstummen wollten und ihn sogar bis nach Berlin verfolgt hätten. Ein Journalist eines Provinzblattes habe ihn fast bis ins Foyer des deutschen Reichstags verfolgt, nur um ihm ein paar unangenehme Fragen zu stellen. Es sieht jetzt beinahe so aus, sagte Gregor nicht ohne Stolz, als hätte ich ein Komplott gegen den Alt-Bürgermeister geschmiedet, dabei müsste doch allen klar sein, dass ich dazu absolut nicht fähig bin.
    Er lachte über sich selbst, erzählte einen Witz, der gerade in CSU -Kreisen herumging, und verlor kein einziges Wort über Vater. Eigentlich hatte es den Anschein, als ob niemand von uns darüber sprechen wollte, was uns passiert war. Angelina warf Gregor zwischendurch ein harmloses Stichwort zu und sah die deutsche Landschaft, die vorbeizog, plötzlich mit anderen Augen, wie sie beteuerte. Bisher habe Deutschland für sie aus kitschigen Fachwerkhäusern und unheimlichen, dunklen Tannenwäldern bestanden, und dazwischen hatte es nichts gegeben. Jetzt entdeckte sie weiche Hügel, sanft geschwungenes Ackerland und einsame Baumgruppen aus hellen Birken und Linden. Einmal war es ein Tier, das zwischen Autobahn und Waldrand stand und reglos herüberblickte, und keiner von uns konnte sich entscheiden, ob es ein junges Rind oder eine Hirschkuh gewesen war.
    Auch für Angelina schien etwas abgeschlossen und nicht mehr der Rede wert. Irgendwann machte sich bei uns allen die Müdigkeit bemerkbar, vielleicht waren es auch die Verwirrungen der letzten Tage, und die Intervalle, in denen kein Wort fiel, wurden länger und länger. Ich konzentrierte mich auf den Verkehr und die vielen Baustellen, in denen man das Tempo immer wieder plötzlich drosseln musste und aufpassen, dass man dem Wagen, der vor einem fuhr, nicht ins Heck krachte. Nach einer Essenspause auf einer Raststätte setzte Angelina sich in den Fond, legte ihren Kopf auf Gregors Schoß und schlief ein.
    Im Zunachten fuhren wir über die ersten Rampen der Alpen. Das Wetter hatte zugezogen, es begann zu nieseln und nicht weit vor der letzten Passhöhe ging der Regen in Schnee über.
    „Zu spät“, sagte Angelina plötzlich hinter mir. Sie war aufgewacht, reckte sich und gähnte.
    „Zu spät“, sagte sie noch einmal und zeigte nach draußen, „den hätten wir in Berlin gebraucht.“
    Gregor konnte offenbar nicht verstehen, was sie meinte, aber er hielt den Mund.
    „Was meinst du eigentlich, Gregor?“, fragte ich ihn, der Angelinas Blick gefolgt war und verständnislos durch die Windschutzscheibe auf die Straße starrte und auf die Flocken, die im Scheinwerferlicht herumwirbelten.
    „Was soll ich
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