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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch
Autoren: Murat Topal
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Formen: neonfarbene Kastendrachen, Fantasieprodukte, die wie Vögel aussehen, Monster und Flugzeuge. Kinder üben mit ihren Vätern. Daneben bändigen tätowierte Jungs in Muscle-Shirts ihre Monsterkites und heben fast ab dabei. Kreischende Mädels in hautengen Sonnentops vollführen wilde Flugmanöver und lassen ihre bunt gemusterten Flugobjekte geschickt mit denen der coolen Muckiboys kollidieren. Kurz darauf sieht man Jungs und Mädels bei der gemeinsamen Seilentknotung. Hier könnte sich was entwickeln ...
    Selbstverliebte Rollerblader lassen sich in aberwitzigem Tempo von teuren Lenkdrachen über das Asphaltband der ehemaligen Startbahn katapultieren, als wollten sie gleich abheben und die einstige Luftbrücke wieder zum Leben erwecken.
    »Weißt du eigentlich«, beginnt Karl, der offenbar langsam wieder in seine übliche Rolle findet, »dass das Tempelhofer Feld zur Teltowhochfläche gehört? Dieses Stück Land, das jetzt der Park ist, liegt also geografisch betrachtet auf einem Plateau. Ich glaube, zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde es vor 700 Jahren, als Markgraf Ludwig der Reine Frieden mit den Städten Berlin und Coelln schloss.«
    »Der Reine? Hat der das Reinheitsgebot erfunden?«, versuche ich einen reichlich lahmen Witz, um den Lebeduden etwas aus dem Konzept zu bringen. Steigert der Knabe sich erst einmal so richtig in seine Wissensraserei hinein, gibt es für Außenstehende keine Bremsmöglichkeit mehr.
    »Höchst amüsant. Vor allem wenn man bedenkt, dass du so was beruflich machst«, stichelt Karl und fährt unbeirrt fort: »Bis zum 18. Jahrhundert wurde das Feld vor allem von Schöneberger Bauern beackert – es liegt ja zwischen Tempelhof, Neukölln und Schöneberg, da bot sich das an. Es wurde einfach nur das Große Feld genannt. Mit Beginn ...«
    »Ist ja mal originell – das Große Feld! Wieso nicht der aasige Acker oder einfach Riesenrasen?«, starte ich einen weiteren verzweifelten Versuch, dem Bildungsroboter den Stecker zu ziehen. Vergeblich. Karl redet jetzt an einem Stück und steuert bedenklich zielstrebig auf das vor ihm liegende Picknick einer türkischen Großfamilie zu. Im letzten Moment zerre ich ihn mit geübtem Polizeigriff zur Seite und verhindere noch gerade, dass er das Essen unter seinen Birkenstocks püriert. Auch das bringt ihn nicht aus dem Takt. Hat die Maschine erst einmal den Point of no Return erreicht, hebt sie ab. Da unterscheidet sich Karl kein bisschen von den Propellerflugzeugen, die viele Jahre vor ihm dieses Gelände nutzten.
    »Entschuldigung, mein Freund hier ist gerade etwas verwirrt«, sage ich auf Türkisch und bekomme verständnisvolles Kopfnicken zur Antwort. Karl bleibt gelassen:
    »Friedrich Wilhelm I. hat das Feld ab Beginn des 18. Jahrhunderts als militärischen Parade- und Exerzierplatz und als Übungsgelände für die preußische Armee genutzt. Kurz darauf kaufte das Militär das Gelände und verpachtete einen Teil. Darauf wurde eine Pferderennbahn eingerichtet. Kam extrem gut an bei den Berlinern, das kannst du mir glauben! In der Mitte ...«
    Oh je. Jetzt ist er endgültig auf Betriebstemperatur.
    »Äh, Karl, lass doch mal die Jogger hier vorbei ...«
    Genauso gut könnte ich den zunehmenden Mond bitten, heute Nacht mal ein wenig abzunehmen.
    »Mitte des 18. Jahrhunderts war es vorbei mit der Rennbahn, da wurde nämlich für die Anhalter Eisenbahn umgebaut. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurden außerdem eine Kaserne, ein Verladebahnhof und ein Übungsplatz für das neu aufgestellte erste preußische Eisenbahnregiment errichtet. Später kamen noch zwei Regimente dazu. Und das Feld wurde auch damals schon sportlich genutzt!«
    »Karl! Pass auf, die Skaterin!!«
    Eine Rotgelockte mit endlos langen Beinen schießt auf uns zu und zieht dann mit einem lässigen Ausweichmanöver an uns vorbei. Au Mann, das war wirklich knapp. Freudig überrascht winkt Karl ihr zu – sie winkt lächelnd zurück! Moment, hat sie wirklich ihn gemeint? Woher kennt der Nerd so ein Geschoss?
    »Mensch, das war ja die Britta«, kommentiert Karl meinen fassungslosen Blick. »Wir waren vor vielen Jahren in Böblingen zusammen im Yogakurs.«
    Hätte die Schocktherapie eines Zusammenstoßes meinen Doktor Higgins eventuell von seiner Dozierwut geheilt? Sicher nicht. Eher würde es morgen Fassbrause vom Himmel regnen.
    »Auf dem Gelände, auf dem nicht gebaut worden war, gab es einen Badesee. Sogar der erste Berliner Fußballverein, der BFC Frankfurt 1885,
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