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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch
Autoren: Murat Topal
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trug hier seine Heimspiele aus, und der deutsche Fußballmeister von 1905 ...«
    »Union Berlin!«
    »Ja, genau. Woher weißt DU das denn? Du hast doch angeblich gar keine Ahnung von Fußball!?«
    Siehe da, eigenes Wissen schien ein Mittel zu sein, den Robotermotor ins Stottern zu bringen. Spontan nehme ich mir vor, in Zukunft den einen oder anderen Motorradtrip durch Bibliothekssitzungen zu ersetzen.
    »Mann, ich hab so viele Union-Spiele polizeilich begleiten müssen. Wenn ich das noch nicht mal mitbekommen hätte ...«
    »Dann interessiert dich bestimmt, dass auch der älteste noch existierende Fußballverein Deutschlands, der BFC Germania 1888, auf dem Tempelhofer Feld seine ersten Spiele gekickt hat. Aber nicht, dass du denkst, hier wurde nur Fußball gespielt! Hier wurde Luftfahrtgeschichte geschrieben! Ein Meilenstein der Historie! Und das, was da in die Luft stieg, das waren keine bunten Kinderdrachen.«
    »Hier ist es perfekt«, sage ich, seine spöttische Bemerkung geflissentlich überhörend.
    »Was?«, fragt Karl, nun doch irritiert aus seiner Neverending Story gerissen.
    »Na, perfekt für den ersten Start!« Ich lege den Drachen auf die Wiese. »Hast du die Bedienungsanleitung?«
    Karl kramt alle seine Taschen durch.
    Der Drachen sieht fantastisch aus: blau-weiß gestreift mit V-förmigen Segeln, ein bisschen wie eine übergroße Schwalbe aus Papier.
    »Habe ich in der U-Bahn liegen lassen«, sagt er kleinlaut. »Aber macht nichts, ich weiß noch, was drinstand. Also erstens: Man verbindet die Stangen A und B mit ...«
    Bauleiter, die sich lieber auf ihr Gedächtnis als auf ihre Baupläne verlassen, kann ich nun wirklich gar nicht brauchen. Solche Leute haben in Berlin schon die »Schwangere Auster« (siehe Die Schwangere Auster ) zum Einsturz gebracht.
    »Nee, lass mal gut sein, Karl, ich improvisiere das lieber, à la turka .«
    Vorsichtig lege ich den Drachen auf den Boden; während das Nervengift an meiner Seite in den azurblauen Himmel starrt und aus purer Langeweile wieder das Dozieren anfängt.
    »Hast du eigentlich gewusst, dass die ältesten deutschen Luftaufnahmen von einem Ballon aus geschossen wurden, der hier abgehoben hat? Hier haben Erfinder und Wissenschaftler auch ihre neuesten Flugobjekte und Luftschiffe vorgeführt – mit der einen oder anderen Bruchlandung. Schon mal was von Graf von Zeppelin gehört?«
    »Nee, ich kenne nur Graf Koks.« Mann oh Mann, ich sollte echt mal an meiner Schlagfertigkeit arbeiten.
    Karl grinst gönnerhaft über meine vermeintliche Unwissenheit. Als ob ich noch nie was von Zeppelinen gehört hätte – in den nächsten Tagen muss ich dem arroganten Schnösel doch mal den vorlauten Schnabel stopfen.
    »Im Sommer 1901 hob der Ballon ›Preussen‹ mit zwei Meteorologen an Bord vom Tempelhofer Feld ab. Sie erreichten eine Höhe von fast 11.000 Metern und hielten damit 30 Jahre lang den Weltrekord!«
    »Ich hoffe, sie mussten dazu nicht 30 Jahre oben bleiben«, witzele ich dazwischen.
    »Für die Entdeckung der Stratosphäre ein Jahr später war diese Fahrt von höchster Bedeutung«, kontert mein ironiefreies Gegenüber.
    »Die zweite Schicht der Erdatmosphäre«, murmele ich, um diesem größenwahnsinnigen Rezitator klarzumachen, dass ich sehr wohl über so etwas Ähnliches wie Allgemeinbildung verfüge. Als Lohn fange ich mir einen strafenden Blick ein.
    »Ich hab doch gesagt: Stratosphäre!«
    Jetzt reicht’s. Wortlos reiße ich die Folie vom Drachen ab und beginne, ihn auf dem Gras auszubreiten.
    »Anfang des 20. Jahrhunderts hat die Gemeinde Tempelhof dem Militär das Gelände abgekauft und einen Teil zur Bebauung freigegeben. Doch dann kam der Erste Weltkrieg und stoppte das Vorhaben. Nach dem Krieg wurde die Arrest-Anstalt, die am heutigen Columbiadamm errichtet worden war, als Polizeigefängnis genutzt. Ab 1933 war hier zuerst ein Gefangenenlager der SS und der Gestapo und danach ein reguläres Konzentrationslager, das KZ Columbia.«
    Zunehmend bockig, gebe ich Kontra.
    »Hast du nicht gesagt, das war hier ein Flughafen?«
    Wow, geschafft. Der Drachen ist zusammengesteckt. Sieht wirklich toll aus. Wo aber sind die Lenkschnüre?
    »War es ja auch. 1909 fand hier der erste Motorflug statt. Außerdem stellte der amerikanische Flugzeugbauer Orville Wright von hier aus einen Höhenweltrekord auf. Die Geschichte des Flughafens Tempelhof begann aber erst so richtig im Jahr 1922. Und kurz darauf war Tempelhof der erste offizielle Verkehrsflughafen der Welt,
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