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Berg der Legenden

Berg der Legenden

Titel: Berg der Legenden
Autoren: Jeffrey Archer
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sehen, ob irgendeiner von ihnen Probleme zu haben schien. Er hoffte beinahe, einer von beiden möge zurückfallen und ihm so die endgültige Entscheidung abnehmen, doch als Stunde um Stunde verstrich, gestand er sich widerstrebend ein, dass zwischen ihnen kaum ein Unterschied bestand.
    Nachmittags um kurz nach drei Uhr erreichte die Gruppe Lager V, dem Zeitplan ein gutes Stück voraus. George sah auf die Uhr und versuchte, eine Rechnung aufzustellen. Als Hannibal die Alpen überquerte, hatte er es stets der Sonne überlassen, solche Entscheidungen für ihn zu treffen. Sollte er weitergehen zum Lager VI und versuchen, einen Tag einzusparen? Oder hätte das lediglich zur Folge, dass sie anschließend zu erschöpft waren, um es mit der vor ihnen liegenden, weit bedeutsameren Herausforderung aufzunehmen? Er wählte Vorsicht und entschied sich für eine frühe Nacht, damit sie gleich morgen früh zum Lager VI aufbrechen konnten. Aber mit wem würde er aufbrechen? Wer von den beiden würde ihn zum Gipfel begleiten, und wer würde die Sherpas zurück zum Nordsattel begleiten?
    Früh ins Bett zu gehen, bot keine Garantie, dass George in dieser Nacht viel Schlaf fand. Etwa jede Stunde wachte er auf, steckte den Kopf aus dem Zelt und überprüfte, ob er immer noch die Sterne sehen konnte, die nur wenige andere Menschen je in solcher Klarheit gesehen hatten. Er konnte. Irvine schlief wie ein Kind, und Odell hatte sogar die Nerven zu schnarchen. George schaute zu ihnen hinüber, während er weiterhin mit dem Problem rang, wer ihn beim Gipfelaufstieg begleiten sollte. Sollte er Odell mitnehmen, der nach jahrelangem Einsatz diese Chance gewiss verdient hätte – wahrscheinlich seine letzte Chance? Oder sollte er sich für Irvine entscheiden? Schließlich war es nur menschlich von einem jungen Mann, von seinem Platz an der Sonne zu träumen, doch wenn er nicht zum Zuge käme, hätte er noch viele Jahre vor sich, in denen er es noch einmal versuchen könnte. George war sich nur einer Sache sicher. Für ihn war dies die letzte Gelegenheit.
    ***
    Kurz nach vier am folgenden Tag, als der Mond noch friedlich auf sie herabschien, setzten sich die drei Männer erneut in Bewegung. Mit jeder Stunde, die verstrich, wurden ihre Schritte langsamer, bis ihr Gang nicht mehr als ein Schlurfen war. Falls Odell oder Irvine unter der Anstrengung litten, so ließ sich keiner der beiden auch nur das Geringste anmerken, während sie beharrlich den Fußspuren ihres Anführers folgten.
    Die Sonne war bereits am Untergehen, als die Nordost-Schulter in Sicht kam. George überprüfte seinen Höhenmesser: 8260 Meter. Eine halbe Stunde später und siebzig Meter weiter brachen die drei erschöpft und überaus erleichtert zusammen, als sie feststellten, dass Nortons und Somervells kleines Zelt immer noch stand. George konnte seine letzte Entscheidung nicht länger aufschieben, denn drei Männer konnten nicht in diesem kleinen Raum schlafen, und auf dem Felsvorsprung gab es nicht genügend Platz, um ein zweites Zelt aufzustellen.
    George setzte sich auf den Boden und kritzelte eine Nachricht für Norton, um ihn über ihre Fortschritte zu informieren, und dass sie am Morgen den Gipfelversuch wagen würden. Er stand auf und sah beide Männer schweigend an, ehe er Odell die Nachricht überreichte. »Würden Sie dies bitte mit hinunter zum Nordsattel nehmen, mein Freund, und dafür sorgen, dass Norton sie bekommt?«
    Odell verriet keinerlei Gefühlsregung. Er verneigte sich nur.
    »Tut mir leid, altes Haus«, fügte George hinzu. Er wollte Odell gerade seine Gründe darlegen, als Odell sagte: »Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, Skipper.« Er schüttelte erst George die Hand, dann dem jungen Mann, den er der RGS empfohlen hatte, um Finchs Platz in der Bergsteigergruppe einzunehmen. »Viel Glück«, sagte er, ehe er ihnen den Rücken zuwandte und seinen einsamen Weg hinunter ins Lager V begann, wo er die Nacht verbringen, eher am folgenden Tag zum Nordsattel zurückkehren würde.
    Und da waren’s nur noch zwei.

59
    7. Juni 1924
    Meine Liebste,
    ich sitze in einem winzigen Zelt 8220 Meter über dem Meeresspiegel und fast 5000 Meilen von zu Hause entfernt, auf der Suche nach den Wegen des Ruhmes …
    »Schlafen Sie eigentlich auch mal?«, fragte Irvine, als er sich aufsetzte und sich die Augen rieb.
    »Nur auf dem Weg nach unten«, sagte George. »Morgen um diese Zeit werde ich also tief und fest schlafen.«
    »Morgen um diese Zeit wird man Sie
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