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Bélas Sünden

Bélas Sünden

Titel: Bélas Sünden
Autoren: Petra Hammesfahr
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identifizieren. Das konnte ich nicht. Ich konnte nicht einmal mehr auf meinen Beinen stehen. Wie in der Nacht im August, als er begonnen hatte, der Anfang vom Ende. Ich erwachte in der Augustnacht mit scheußlichen Krämpfen, war schweißgebadet, der berühmt-berüchtigte kalte Schweiß, der ankündigt, dass der Kreislauf nicht mehr mitspielt. Das Bettzeug klebte mir am Körper. Meine Eingeweide schienen mit glühenden Eisenspänen gefüllt.
    Es war nur die Mayonnaise, Geflügelsalat zum Abendessen und eine gehörige Portion Salmonellen dazu.
    Glücklicherweise hatte außer mir niemand von dem Salat gegessen. Ich konnte nachweisen, dass ich die Packung nur für den privaten Gebrauch gekauft hatte. Nicht auszudenken, wenn es einen der Gäste erwischt hätte. Das Gesundheitsamt hätte uns das Lokal dichtgemacht. Nicht uns! Es war nicht mein Lokal. Ich hatte zwar die Konzession, aber Béla verdiente sein Geld damit, Leute zu bewirten und zu unterhalten.
    Es war kurz nach zwei, als ich aufwachte und erst einmal zusehen musste, dass ich ins Bad kam. Ich rief nach Béla, erhielt keine Antwort. Das war nicht ungewöhnlich, es war ein Samstag. Am Wochenende wurde es im Lokal oft ziemlich spät. Wenn Béla spielte – er war ein wundervoller Musiker am Keyboard und am Synthesizer – und wenn er richtig loslegte, fanden die Leute nicht heim.
    Er hatte Magie in den Fingern, klebte sein Publikum an den Stühlen fest. Ich nahm an, dass sie noch unten saßen, mein Mann und ein paar von den Unermüdlichen. Großartig darüber nachdenken konnte ich nicht. Es ging los wie ein Wasserfall, in den ersten Minuten war ich ziemlich mit mir selbst beschäftigt. Irgendwann fiel mir auf, dass es im Erdgeschoss still war. Ich rief noch einmal nach Béla, es war nur ein heiseres Krächzen. Wieder bekam ich keine Antwort. Ich schleppte mich zu seinem Zimmer, das Bett war leer. Also ging ich hinunter. Von wegen ging, ich brauchte mindestens zehn Minuten bis in den Hausflur. Und bei jeder Treppenstufe dachte ich, dass ich die nächste nicht mehr schaffe. Aber ich kam unten an. Es war immer noch still, keine Musik, kein Stimmengewirr. Dann hörte ich dieses Geräusch, ein Knarren, das ich mir nicht erklären konnte. Dabei war es leicht zu erklären. Das Knarren verursachte ein Tisch.
    Béla stand davor, seine Hose hing ihm in den Kniekehlen, auf seinen Schultern lag ein Paar Beine. Den Kopf hielt er gesenkt. Ich könnte schwören, er hatte die Augen geschlossen. Er schloss sie immer dabei. Seine Hände lagen an den Tischkanten. So versuchte er, zu verhindern, dass ihm der Tisch mitsamt seiner Beute darauf über den gefliesten Boden davonrutschte. Sie waren so miteinander beschäftigt, hatten überhaupt nicht mitbekommen, dass die Tür geöffnet worden war.
    Hätte er die nicht abschließen oder sich zumindest in einen weiter hinten gelegenen Winkel verziehen können? Ich versuchte zu erkennen, mit wem er sich amüsierte. Aber mir tanzten schwarze Flecken vor den Augen. Béla stand mit dem Rücken zu mir und verdeckte mit seinem Körper, was vor ihm lag. Zudem war es im Lokal schummrig. Nur drei der tief hängenden Lampen über dem Tresen brannten noch. Ein Kleidungsstück, das mir einen Hinweis hätte geben können, sah ich nirgendwo. Nur etwas nackte Haut, einen Arm, nehme ich an, und blonde Haare. Ich musste mich übergeben, was garantiert nicht an den Salmonellen lag. Dann brach ich zusammen.
    Béla schwor anschließend Stein und Bein, es sei nichts von Bedeutung gewesen, nur ein kleiner Ausrutscher, er hätte es gar nicht gewollt. Ich solle es vergessen. Das wollte ich auch. Doch dann ging es los mit meinen Lesereisen, Fernsehauftritt, Buchmesse. Ich war viel unterwegs. Und jedes Mal, wenn ich zurückkam, fand ich neue Beweise, dass es eben doch keine einmalige Angelegenheit gewesen war. Béla leugnete. Ganz hartnäckig. Zuerst stritten wir noch. Er warf mir vor, ich wolle ihn auf eine miese Tour loswerden. Ich würde das erfinden oder selbst inszenieren, weil ich einen anderen hätte. Manchmal wusste ich nicht, woran ich war, ob ich mich vielleicht wirklich nur in etwas hineinsteigerte. Und dann fand ich wieder etwas. Es kam so weit, dass wir nicht mehr miteinander reden konnten.
    Natürlich sprachen wir unentwegt über irgendetwas. Über das Geschäft, den Umsatz, meinen Erfolg. Nur nicht über uns, über die Tatsache, dass ich nicht mehr arbeiten konnte. Dass ich nur noch vor dem Computer saß und so tat als ob. Dass ich längst fertige
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