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Bélas Sünden

Bélas Sünden

Titel: Bélas Sünden
Autoren: Petra Hammesfahr
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geschafft hatte, wo es wirklich und richtig anfing mit dem Erfolg, brach mir alles auseinander, viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt oder vorgenommen hatte. Als hätte mir jemand die Entscheidung abnehmen wollen und für mich den Schlussstrich gezogen.
    Schon als wir in die Straße einbogen, sah ich den Fuhrpark vor dem Haus. Es regnete nicht mehr, aber alles glänzte vor Feuchtigkeit. In der Nässe brach sich das zuckende Blau. Die gesamte Umgebung war in gespenstisch flackerndes Licht getaucht. Warum hatten sie ihre verdammten Blaulichter nicht ausgeschaltet, als sie am Einsatzort eintrafen? Mussten sie damit unbedingt die gesamte Nachbarschaft alarmieren? Es sah fast aus wie ein Straßenfest. Alles, was Beine hatte, stand herum.
    Zwischen den Streifenwagen und Zivilfahrzeugen, auf der Straße, dem Gehweg, dem Grasstreifen.
    Das Taxi kroch nur noch. Der Fahrer hing vorgebeugt im Sitz, als könne er auf diese Weise mehr erkennen. Er musste mitten auf der Straße anhalten. In seiner Stimme klang deutlich das Unbehagen mit.
    »Herderstraße dreizehn«, sagte er,
    »da wären wir.« Er schaute mich von der Seite an und stellte überflüssigerweise fest:
    »Sieht aus, als wäre da etwas passiert.«
    Ich konnte nur nicken. Denken kann man nicht in solch einem Augenblick. Der Fahrer stieg mit aus, reichte mir den Koffer, den großen. Ich war nicht nur in Frankfurt gewesen. Und das war eine Sache, die mich dann beinahe um den Verstand brachte.

    Vier Tage vorher, in der Nacht zum Montag, war ich nach München gefahren. Nein, geflohen, weil ich meinte, Bélas Nähe nicht länger zu ertragen. Ihm hatte ich weisgemacht, dass ich den Montag in München bliebe, um ein paar wichtige Dinge mit meinem Verleger zu besprechen. Dass ich dienstags weiterführe nach Augsburg, mittwochs nach Stuttgart und donnerstags nach Frankfurt, weil ich in diesen Städten lesen sollte. Aber es gab keine Lesungen in Augsburg und Stuttgart, nur die in Frankfurt. Ich war in München geblieben bis zum Donnerstagmorgen.
    Jeden Tag hatte ich Béla um die Mittagszeit angerufen und erklärt, ich sei jetzt in diesem oder jenem Hotel angekommen. Damit er nicht auf die Idee kam, hinter mir her zu telefonieren. Handys haben unbestreitbar den Vorteil, dass man behaupten kann, am Ende der Welt zu sein – der Angerufene muss es glauben.
    Kurz vor sieben am Abend hatte ich noch einmal mit ihm gesprochen, aus einem Taxi auf dem Weg zum Frankfurter Bahnhof. Ich hatte ihm vorgelogen, ich sei unterwegs zur Buchhandlung und hoffte, dass die Diskussion nach der Lesung nicht ausufere, damit ich meinen Zug erreichte. Um Viertel nach zwei in der Nacht käme ich in Köln an.
    Ich hatte gesagt:
    »Du brauchst mich nicht abzuholen. Ich nehme mir ein Taxi.«
    »Aber nein, Liska«, hatte er protestiert:
    »Natürlich hole ich dich ab.« Und nach einer winzigen Pause hatte er hinzugefügt:
    »Ich habe dich vermisst, Liska. Ich habe dich sehr vermisst.«
    Liska, so hat er mich vom ersten Moment an genannt.
    Lisa, das war ihm zu wenig. Liska, wie er es aussprach, mit diesem weichen SCH in der Mitte, es klang jedes Mal wie eine Liebeserklärung, wie das Versprechen seiner Zärtlichkeit. Es klang auch nach zehn Jahren noch so.
    »Schlafe ich vorher ein bisschen«, sagte er.
    »Stelle ich mir den Wecker. Ich bin am Bahnhof, wenn du kommst.«
    Er war merkwürdig, nicht von Anfang an. Es begann nach den ersten Sätzen. Er wurde nervös, was ich an seiner Aussprache erkannte. Normalerweise bemühte Béla sich um ein absolut korrektes Deutsch. Nur wenn er sich aufregte, geriet ihm das durcheinander. Erregte ist wohl das passendere Wort. Ich meinte auch, durchs Telefon ein Geräusch zu hören, wie das Rascheln von Stoff, als ob jemand bei ihm wäre, sich an ihn schmiegte, während er mit mir sprach. Es tat so verdammt weh.
    Und ich dachte: Irrtum, mein Freund, wenn ich ankomme, wirst du nicht am Bahnhof sein. Ich komme nämlich vier Stunden früher. Das ist eine Menge Zeit.
    Man kann sich in dieser Zeit das gesamte Leben auseinander reißen. Und es neu zusammensetzen, das vielleicht auch. Man sollte es wenigstens versuchen.
    »Etwas passiert!«, hallte die Stimme des Taxifahrers in meinem Hirn nach. So ein Großaufgebot. In dem Moment wurde mir übel. Der Taxifahrer reichte mir den Koffer und fragte, ob ich allein zurechtkäme. Ich muss ziemlich blass gewesen sein. Aber ich nickte, dann ging ich zwischen den Fahrzeugen auf das Haus zu. Es lag unter Festbeleuchtung.
    Hinter
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