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Bélas Sünden

Bélas Sünden

Titel: Bélas Sünden
Autoren: Petra Hammesfahr
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Leidenschaft. Und Karl-Josef war stolz, wenn ich ihm sein Frühstück machte und dabei durch die Küche schlich, als schleppe ich einen Zentnerstein zwischen den Beinen mit mir herum. Da fand er, dass er es mir wieder einmal richtig besorgt hatte. Genau ein Jahr nach der Hochzeit wurde unsere Tochter geboren – Sonja. Sie war ein kräftiges und energisches Baby, blond und blauäugig, ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Es gab nichts an ihr, was auf mich hinwies.
    Karl-Josef legte den Ehemann zur Seite und wurde ein pflichtbewusster Familienvater. Er träumte davon, eines Tages ein Haus mitten in den elterlichen Garten zu setzen. Von frühmorgens bis abends schuftete er in der Schreinerei. Außerdem war er Mitglied in der freiwilligen Feuerwehr, spielte am Sonntagnachmittag Fußball. Im Kirchenchor sang er auch, und selbstverständlich war er immer noch im Schützenverein. Und ich saß da mit einem Baby in der kleinen Wohnung oder bei Schwiegermutter in der Küche oder bei Mutter im Garten. Sonntags schob ich kurz vor drei den Kinderwagen zum Sportplatz. Nach dem Spiel brachte ich Sonja heim und übergab sie meiner Schwiegermutter. Dann saß ich mit einem halben Dutzend ebenfalls gelangweilter Frauen im Vereinslokal an einem Tisch, während unsere Männer am Tresen ihren Sieg begossen oder die Niederlage ertränkten.
    Und während die Männer meinem Karl-Josef auf die Schulter klopften oder ihn manchmal lieber in den Hintern treten wollten, unterhielt ich mich über Waschpulver, den Unterschied zwischen Fertignahrung für Babys und selbstgezogenen Karotten, auch mal über ein Rezept für Buttercremekuchen oder wer derzeit ein Verhältnis mit dem Frisör hatte. Zwischen zehn und elf gingen wir heim. Karl-Josef stützte sich oft genug mit seinem gesamten Gewicht auf meine Schulter und schob mich von einer Straßenseite zur anderen. Dann krochen wir ins Bett. Er fummelte noch ein bisschen, schlief meist darüber ein. Zum Kern der Sache kam er nur noch selten. Aber er sprach unentwegt davon, dass Sonja ein Brüderchen bekommen musste. Schließlich brauchte die Schreinerei einen Erben. Am nächsten Morgen klingelte um fünf der Wecker. Und montags war Versammlung der freiwilligen Feuerwehr, dienstags probte der Kirchenchor. Mittwochs trainierte der Fußballverein. Donnerstags trafen sich die Schützenbrüder, freitags war auch irgendwas, samstags wurde das Auto gewaschen und sonntags war Wochenende mit Kirchenchor, Feuerwehrtreffen beim Frühschoppen, Fußball und eben dem gemütlichen Beisammensein im Vereinslokal. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich schon tot war, dass es nur noch niemand bemerkt hatte.

    Wäre Béla mir damals begegnet, ich hätte ihn wohl gar nicht zur Kenntnis genommen. Er war fünf Jahre jünger als ich. Ich hätte doch einen Fünfzehnjährigen nicht ernst nehmen können, war so furchtbar erwachsen mit meinen zwanzig Jahren. Genauso alt war ich, als ich den ersten Schlussstrich zog. Ein spontaner Entschluss, so war es bei mir immer. Egal, was passierte, es passierte Hals über Kopf. Es war halb eins in der Nacht zum Montag. Während ich meinen Koffer packte, schlief Karl-Josef einen knappen Meter weiter den Schlaf des zu Recht Erschöpften. Mein Bauch war voller Flöhe, er war wieder mal beim Fummeln eingeschlafen. Eine Weile hatte ich noch neben ihm gelegen. Und die Vorstellung, ein Leben lang kurz vor einer Explosion zu stehen, trieb mich schließlich aus dem Bett zum Kleiderschrank.
    Nach dem Koffer packte ich mein Baby, ging zwei Häuser weiter und klingelte meine Eltern aus dem Schlaf. Mein Vater war entsetzt. Mutter bemühte sich wenigstens zu verstehen, was mich dazu trieb, den netten Jungen von nebenan so Knall auf Fall zu verlassen. Den Rest der Nacht saßen wir in der Küche. Vater hatte sich wieder hingelegt und Sonja mitgenommen. Mutter hatte Kamillentee aufgebrüht, schob mir das Fläschchen mit den Baldriantropfen neben meine Tasse und hoffte vermutlich, das würde mich beruhigen. Dabei hätte sie die Beruhigung nötiger gebraucht.
    Nachdem geklärt war, dass ich kein Verhältnis mit dem Frisör hatte – dass ich gerne eins gehabt hätte, verschwieg ich lieber –, wandte Mutter sich der unwahrscheinlichen Möglichkeit zu, die Schuld könne bei Karl-Josef liegen.
    »Jetzt sag aber mal, Lisa, was ist passiert? Hat er dich geschlagen?«
    »Nein.«
    »Das hätte ich auch nicht von ihm gedacht. Aber er trinkt ein bisschen viel, ist es das?«
    »Nein.«
    »Was ist es dann,
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