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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman
Autoren: Eva Voeller
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Beitreibung rückständiger Unterhaltszahlung nicht unerheblich zur Stressvermehrung beitrug, muss ich wohl nicht eigens betonen.
    Keine Frage, dass ein arrivierter Dentist wie Doktor Rainer von Stratmann das bisschen Unterhalt, das er seiner Exfrau schuldete, aus der Portokasse hätte zahlen können. Doch Theorie und Praxis sind bekanntlich zweierlei. Obwohl er inzwischen nebst einem bestens betuchten Privatpatientenstamm auch mehrere Mietshäuser, eine Flotte von Luxusfahrzeugen, eine mittelgroße, seetüchtige Yacht, ein beachtliches Aktienpaket und eine Riege ständig wechselnder, riesenwüchsiger Freundinnen sein Eigen nannte, schaffte er es so gut wie nie, mir pünktlich die Zahlungen zukommen zu lassen.
    Meine Anregung, einen Dauerauftrag einzurichten, griff er jedes Mal dankbar auf, nur um es immer wieder flugs zu vergessen. Schuld an seiner Zerstreutheit war – Sie ahnen es sicher – zumeist die schlimme Rückensache.
    Dabei war ich dringend auf das Geld angewiesen, momentan mehr als je zuvor. Noch während meine Scheidung lief, hatte ich mein Vorhaben, weiter zu studieren, in die Tat umgesetzt. In den letzten drei Jahren hatte ich fleißig gelernt und meinen Magister in Publizistik gemacht. Das Bedürfnis, mich zu beweisen und aller Welt klarzumachen, dass ich durchaus zu wissenschaftlichen Leistungen imstande war, hatte mich beflügelt, diesen Studiengang bis zum Ende durchzuziehen. Doch der Höhenflug nach dem bestandenen Examen war mittlerweile längst Schnee von gestern. Die Euphorie war der Erkenntnis gewichen, dass manches gute alte Sprichwort immer noch seine Berechtigung hat. Etwa: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.
    Unmöglich, sich der Tatsache zu verschließen, dass ich zwar meinen Magister in einem ehrenwerten Fach erworben hatte, aber keine Stelle. Während des Studiums hatte ich mich mit Rainers unregelmäßig eintrudelnden Unterhaltszahlungen, ein paar Aushilfsjobs an Supermarktkassen und gelegentlichen Beiträgen in einer mäßig verkauften Frauenillustrierten über Wasser gehalten. Die Möglichkeit, dass dieser behelfsmäßige Zustand auch nach dem Examen fortbestehen könnte, hätte ich nicht im Traum in Erwägung gezogen.
    Nun, inzwischen wusste ich es besser. Magister bevölkerten zuhauf die Flure des Arbeitsamtes. Wie ich studierten sie vermutlich an jedem Samstag ausgiebig den Stellenmarkt der Tageszeitung und antworteten hoffnungsvoll auf vielversprechende Inserate, nur um in der Woche darauf ganze Bündel von Ablehnungsschreiben aus dem Briefkasten zu fischen.
    Senden wir Ihnen Ihre Bewerbung anliegend zu unserer Entlastung zurück …
    Ich hatte längst aufgehört, diese Schreiben zu zählen. Ganz genau gezählt hatte ich hingegen die fehlenden Unterhaltsraten. Mein Ex hatte mir seit vergangenem Juli nicht einen Cent gezahlt. Grund genug, ihm mal wieder persönlich auf die Bude zu rücken. Schließlich war bald Weihnachten.
    Das also war der Stand der Dinge, als ich an diesem Spätnachmittag auf Rainers ultimativer Hydraulikliege ruhte und in das dichte Schneetreiben vor den Fenstern seiner Nobelvilla starrte.
    *
    »Lu, mein Schatz!«
    Rainer tauchte strahlend in der Tür des Behandlungsraums auf. Er war der einzige Mensch aus meinem Bekanntenkreis, der mich Lu nannte. Ich heiße Lucia, in der lateinisch geschriebenen Version, nach irgendeiner Urgroßtante mütterlicherseits, die im Ersten Weltkrieg den Schleier genommen hatte und in den Kriegswirren jung gestorben war. Angeblich hatten bis vor zwanzig Jahren noch schriftliche Aufzeichnungen existiert, denen zufolge besagte Lucia vor ihrem Tod eine Reihe von Wundern bewirkt hatte. Unter anderem soll sie Heilkräfte in Form von Händeauflegen besessen haben und in der Lage gewesen sein, sich unsichtbar zu machen. Leider waren die Dokumente, die Lucias wundersame Fähigkeiten anhand beglaubigter Aussagen näher darstellten, ungefähr seit der Zeit nicht mehr auffindbar, in der meine Eltern gebaut hatten. Als das Reihenhaus, in dem ich aufgewachsen bin, im Glanze des Richtfestes erstrahlte, waren bereits alle Belege über Urgroßtante Lucia dahin. Noch Jahre später hat meine Mutter, die einen ziemlich extremen Hang zur Esoterik pflegt, meinem Vater diesen herben Verlust vorgeworfen. Sie verstieg sich sogar zu dem Verdacht, dass er in der Rohbauphase die alten Dokumente über Tante Lucias Wundertaten zusammen mit den ausgelesenen Tageszeitungen den Bauarbeitern als Lokuspapier zur Verfügung gestellt hatte, und die
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