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Von den Sternen gekuesst

Von den Sternen gekuesst

Titel: Von den Sternen gekuesst
Autoren: Amy Plum
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Teil 1
    E s war mitten in der Nacht und ich hockte ans Geländer einer der Brücken gelehnt, die über die Seine führten. Mein Blick folgte den zerrupften Lilien, die langsam auf ihrer Oberfläche Richtung Eiffelturm trieben. Angestrengt lauschte ich den Worten nach, die ich gerade gehört hatte. Den Worten eines Toten – vom Geist meines Freundes. Ich hätte schwören können, dass er mit mir gesprochen hatte. Dabei war das völlig unmöglich.
    Doch dann tauchten seine Worte erneut in meinem Bewusstsein auf und bei jeder der beiden Silben zuckte ich zusammen wie bei einem Peitschenknall.
    Mon ange.
    Mein Herz schlug wild. »Vincent? Bist du das wirklich?«, fragte ich mit zitternder Stimme.
    Kate, kannst du mich hören?
    »Du bist volant ! Violette hat dich nicht vernichtet!« Ich sprang auf und blickte mich verzweifelt nach einem Hinweis auf ihn um, wohl wissend, dass nichts zu sehen sein würde. Ich stand ganz allein auf der Pont des Arts. Der Fluss kroch langsam und behäbig unter der Brücke hervor wie eine große dunkle Schlange – die funkelnden Lichter der Uferpromenade reflektierten auf der sich kräuselnden Oberfläche. Ich schauderte und schlang den Mantel enger um mich.
    Nein. Sie hat meinen Körper nicht vernichtet … Noch nicht.
    »Mein Gott, Vincent. Ich hätte schwören können, dass sie es schon getan hat.« Ich wischte mir eine Träne von der Wange, doch es folgte noch ein ganzer Strom. Nur wenige Augenblicke zuvor hatte ich die Hoffnung aufgegeben, je wieder von ihm zu hören. Ich war überzeugt davon gewesen, dass er endgültig verloren war, sein Körper verbrannt von seiner Widersacherin. Und nun hatte er doch wieder zu mir gefunden. Ich konnte das alles nicht begreifen und zwang mich, mit dem Weinen aufzuhören.
    Atme , Kate , beschwor Vincent mich.
    Langsam ließ ich die Luft aus der Lunge entweichen. »Ich kann nicht fassen, dass du hier bist und mit mir sprichst. Wo ist dein Körper? Wohin hat sie dich gebracht?«
    Mein Körper ruht in Violettes Schloss im Loiretal. Ich bin erst seit ein paar Minuten wieder bei Bewusstsein. Sobald mir klar geworden ist, was sie vorhat, habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht. Er klang niedergeschlagen. Hoffnungslos.
    Meine Hände zitterten, während ich mein Handy aus der Tasche zog. »Sag mir ganz genau, wo du bist. Ich verständige Ambrose. Der stellt ein Team zusammen und macht sich sofort auf den Weg zu dir.«
    Dafür ist es zu spät, Kate. Violette hat nur gewartet, bis mein Geist erwacht. Jetzt bin ich volant, da wird sie nicht mehr lange zögern und meinen Körper bald verbrennen. Als ich sie zurückgelassen habe, waren bereits ein paar ihrer Handlanger dabei, ein Feuer zu schüren, während sie ein Ritual eingeleitet hat. Ein Ritual, das meinen Geist an sie binden soll, wenn mein Körper sich in Asche verwandelt hat. Mir bleiben nur noch ein paar Minuten und die möchte ich mit dir verbringen.
    »Es ist nie zu spät«, beharrte ich. »Wir können versuchen, Violette aufzuhalten. Ganz egal, was sie vorhat. Ich bin mir sicher, dass deinen Anverwandten etwas einfallen wird. Wir müssen es zumindest versuchen.« Wieso wollte Vincent so einfach aufgeben?
    Kate, lass es gut sein , bat Vincent. Wir sollten das bisschen Zeit, was uns noch bleibt, nicht damit vergeuden, Ambrose anzurufen, wenn es sowieso unmöglich ist, meinen Körper rechtzeitig zu finden. Und es ist unmöglich, glaub mir das.
    Der Nachdruck in seiner Stimme ließ mich zögern und doch starrte ich weiter auf das Handy in meiner Hand, während sich ein Kloß in meiner Kehle bildete. Wenn ich nichts mehr tun konnte, dann war wirklich alles verloren. Mein anfänglicher Schock wandelte sich in die brutale Erkenntnis, dass der Junge, den ich liebte, in wenigen Minuten auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden würde. »Nein!«, schrie ich, als würde das dem Grauen ein Ende setzen.
    Vincent blieb still, gab mir Zeit, diese Neuigkeit sacken zu lassen. Ich würde meinen Liebsten verlieren. Für immer. Wenn Vincents Körper vernichtet war, würde ich ihn nie wieder berühren können. Würde nie wieder seine Lippen auf meinen spüren. Ihn nie wieder in den Armen halten.
    Aber er wäre ja nicht ganz fort. Oder? Ich musste einfach nachfragen. Meine Stimme war nicht mehr als ein ersticktes Krächzen. »Wenigstens bist du noch volant . Wenn Violette deinen Körper sofort verbrannt hätte, wärst du für immer komplett ausgelöscht.«
    Ich wünschte, sie hätte mich komplett ausgelöscht. Seine
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