Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman
Autoren: Eva Voeller
Vom Netzwerk:
Vorstellung, dass irgendein Bier saufender Mörtelwerfer sich mit diesen unersetzlichen Schätzen den Arsch gewischt haben könnte, bescherte meiner Mutter Albträume. Einer davon muss so extrem gewesen sein, dass sie hinterher behauptete, es hätte sich nicht um einen schlichten Albtraum gehandelt, sondern um eine Vision. In dieser Vision war ihr der Geist von Urgroßtante Lucia persönlich im Traum erschienen, blass, blond und von ätherischer Schönheit. Der Nonnenschleier hatte sie umschwebt, und von ihren Lippen hatte das Blut getropft. Meine Mutter beschrieb den Traum immer wieder bis ins kleinste Detail, so lange, bis jeder in der Familie es wie einen Film vor sich ablaufen sehen konnte.
    Mein Arm reicht weit, hatte Lucia gewispert, und ich sterbe niemals. Ich komme wieder im dritten Glied, so will es das Gesetz, denn mein Name ist das Licht, das ich niemals sehe.
    Dann, so wusste meine Mutter zu berichten, hatte Lucia noch eine Weile still vor sich hingeblutet, immer aus dem Mund, wohlgemerkt, wobei meine Mutter großen Wert auf die Feststellung legte, dass es sich dabei keinesfalls um tuberkulösen Auswurf gehandelt habe, sondern um echtes Herzblut. Ich erinnere mich, dass ich die Story über das Blut ziemlich eklig fand, vor allem, weil Lucia nicht wie jede anständige Nonne aus vernünftig platzierten Stigmata wie an den Handflächen oder der Seite blutete, sondern aus dem Mund, was für mich der Gipfel der Unhygiene war. Nach dem, was ich später über den weiteren Hergang sonst noch von meiner Mutter und anderen Verwandten erfuhr, lief meine Mutter nach diesem visionären Traumerlebnis wochenlang mit ekstatisch verzückter Miene umher und verkündete dann die Lösung des Rätsels, denn für nichts anderes hielt sie besagte Vision.
    Das dritte Glied bezeichnete eine Generation, wobei das erste Glied die Kinder, das zweite Glied die Enkel und das dritte Glied folgerichtig die Urenkel darstellte. Die Ausgangsgeneration wurde nach Ansicht meiner Mutter nicht mitgezählt, weshalb auch Einwände meines Vaters wegen Lucias Kinderlosigkeit – schließlich war sie eine Braut des Herrn – nicht durchgriffen. Nachdem meine Mutter sich demnach als Großnichte zum zweiten Glied rechnete, mussten ihre eigenen Kinder das dritte Glied bilden, und da Lucia behauptet hatte, im dritten Glied wiederzukommen, musste meine Mutter zwangsläufig die Reinkarnation der Blutnonne gebären.
    Nachdem mein Bruder zur Welt gekommen war, fochten meine Eltern eine Zeit lang einen erbitterten Streit über die Namensgebung aus, denn mein Vater weigerte sich standhaft, seinen erstgeborenen Sohn Lucius zu nennen. Schließlich einigten sie sich auf eine abgemilderte Form als Vornamen, nämlich Lucas, was meiner Ansicht nach mit Lucia so viel zu tun hatte wie Luxus mit Lurex. Doch daran störte meine Mutter sich nicht. Außerdem behielt sie sich vor, ihrer erstgeborenen Tochter den Namen des Lichts zu geben. Mein Vater zeigte sich in diesem Punkt generös, und so wurde ich auf den Namen Lucia getauft, wobei das C allerdings von Anfang an wie ein Z ausgesprochen wurde – Luzia . Dabei ist es bis heute geblieben.
    Nur der Wirt der Pizzeria, in der wir gelegentlich aßen, sprach meinen Namen auf die klassisch romanische Art aus: Lutschia .
    Bei meinen England- oder Amerikareisen war ich Lucy , aber hierzulande nannten mich die meisten Leute, die ich kannte, schlicht Luzie .
    Nur Rainer nicht. Für ihn war ich von Anfang an nur Lu.
    »Wie schön, dich zu sehen!« Mit ausgestreckten Armen kam Rainer in den Behandlungsraum, ein wahres Bündel an Energie und Kraft, ein Halbgott in Weiß. Weißes Designerhemdchen, weiße Designerjeans. Kittel trugen nur seine Assistentinnen, er nicht. Er zeigte Figur. Die Jeans saß wie angegossen und modellierte seinen gut geformten Hintern. Rainer hielt sich straff und gerade. Ich nahm es nicht ohne Wohlgefallen zur Kenntnis. Weit und breit kein Anzeichen von der schlimmen Rückensache. Meine Aussichten, dass er Geld herausrückte, konnten nicht allzu schlecht stehen. Und wenn man nach den Dimensionen seines Grinsens urteilte, hatte er sicher wieder mit einer Wahnsinnsrendite an der Börse spekuliert. Sein Lächeln war so breit, dass er bequem eines seiner blitzenden Sondiergeräte hätte dazwischenschieben können. Im Querformat.
    Er beugte sich über mich und schmatzte mir einen Kuss auf den Mund. »Du wirst immer schöner. Wie machst du das?«
    »Keine Ahnung. Und wie geht es dir so?«
    »Gut. Nein, warte.«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher