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Being

Titel: Being
Autoren: dtv
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umgebracht. Nase und Kiefer zertrümmert und den Schädel gebrochen. Dabei hab ich bloß einfach ein paarmal zugeschlagen.

    »Casing«, sagte ich. »Kommen Sie hier rüber.«
    |37| Der Chirurg drehte sich von der Wand weg und durchquerte zögernd den Raum.
    »Da stehen bleiben«, befahl ich ihm und zeigte auf eine Stelle ungefähr einen halben Meter von mir entfernt.
    Casing bewegte sich, blieb stehen, sah mich an.
    »Weiter«, sagte ich.
    Casing bewegte sich ein Stück weiter. Er war starr vor Angst. Zitterte. Ich roch seine Panik – sauer und schal – und der Geruch gab mir Selbstvertrauen. Er hatte mehr Angst vor mir als ich vor ihm.
    »Also gut«, sagte ich. »Hören Sie zu. Hören Sie?«
    Er nickte.
    »Okay«, sagte ich. »Ich lege mich jetzt auf die Liege. Ich lege eine dieser Pistolen weg, aber die andere halte ich genau so.« Ich stieß Ryans Pistole in Casings Bauch. »Ich lege mich hin und Sie werden mich wieder zunähen. Ich will, dass das Loch in meinem Bauch zusammengenäht wird. Verstanden?«
    Er nickte.
    »Sagen Sie’s.«
    »Ich habe verstanden.«
    »Gut.« Ich legte Coopers Pistole neben mir auf die Liege, dann verpasste ich Casing einen weiteren Stoß in den Magen. »Wenn ich das Gefühl habe, irgendwas läuft verkehrt –
irgend was
–, drück ich ab. Ist das klar?«
    »Ja.«
    »Okay – holen Sie, was Sie brauchen.«
    Mit zitternden Händen nahm Casing eine kleine Schachtel vom Instrumententablett, öffnete sie und zog eine fertig mit Faden versehene Nadel heraus. Die blauschwarze Nadel zitterte in seiner |38| Hand, als er sie mir entgegenhielt, damit ich sie sehen konnte. Ich nickte ihm zu. Dann warf ich einen Blick auf Kamal. Er stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen über den zwei bewusstlosen Körpern.
    »Ich will nicht hören, dass Sie sich rühren«, warnte ich ihn. »Ist das klar?«
    Er antwortete nicht, sondern beugte sich nur ein wenig vor.
    Ein letzter Blick auf Casing, dann lehnte ich mich langsam zurück und legte mich auf den O P-Tisch . Der Schmerz im Bauch brach wieder los, brutal und heftig, und ich konnte nicht verhindern, dass mir ein tierischer Laut aus der Lunge fuhr, ein leises, gequältes Knurren. Ich spürte, wie ich anfing, mich schwach zu fühlen. Das grelle Licht über mir brannte in die Augen … die Pistole in meiner Hand wurde schwer. Ich fühlte mich matt. Schwindelig. Krank.
    »Machen Sie schon«, sagte ich zu Casing. »Legen Sie los.«
    Wieder spürte ich, wie diese in Gummi verpackten Finger nach meinem Fleisch griffen. Und dann den Schmerz, als die Nadel anfing zu stechen. Klar und scharf – Stich … Zug … Stich … Zug … Stich … Zug …
    Ich rührte mich im gleichen Rhythmus – ballen … greifen … stöhnen … keuchen. Ich spürte den Schmerz. Zwang mich, ihn zu spüren.
    Spür ihn.
    Denk nicht nach.
    Spür ihn nur.

    Ich musste den Schmerz spüren, um mich am Nachdenken zu hindern. Ich wollte nicht nachdenken. Was geschieht mit mir? |39| Was spielt sich da ab? Was bin ich? Nein, ich durfte mir nicht erlauben, so etwas zu denken, nicht zu diesem Zeitpunkt. Es hätte mich umgebracht. Das Einzige, was mir blieb, war runterzuschlucken, das Ganze in einem Loch im hintersten Winkel meines Gehirns zu verstauen und zu versuchen, es zu ignorieren.
    Doch es war noch da.
    Verstörend in seinem Horror.
    Wenn ich nicht normal bin – was bin ich dann?
    Die Antworten waren undenkbar: Roboter, Automat, Androide, Cyborg, Bestie, Maschine, Alien – nein nein nein nein nein nein nein nein … raus damit aus meinem Kopf … raus damit, raus damit, RAUS DAMIT!
    Nur den Schmerz spüren.
    Kapierst du?
    Wie kannst du den Schmerz spüren, wenn du irgendwas anderes bist als ein empfindungsfähiges Wesen?
    Wie kannst du irgendetwas anderes
sein
? Du hast gelebt. Du hast dich verletzt und geblutet. Du hast Dinge gesehen und gehört, du hast Dinge gefühlt und getan. Du hast über dich nachgedacht. Du hast ein Ich. Einen Verstand, einen Körper, ein Bewusstsein. Du hast Erinnerungen. Du erinnerst dich an Dinge.
    Erinnerung ist Leben.
    Du hast gelebt.
    Du lebst.
    Du isst, du trinkst, du atmest.
    Du scheißt, du pisst, du furzt. Du hast Schmerzen.
    Was kannst du anderes sein als ein Mensch?
    |40| »Das war’s. Fertig.«
    Für einen Moment wusste ich nicht, wo ich war.
    Ping.
Die Nadel fiel in eine Metallschale und der winzige Ton brachte wieder alles zurück ins Bewusstsein. Professor Casing – ängstliche Augen und blutige Hände. Kamal – ruhig wartend,
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