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Being

Titel: Being
Autoren: dtv
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schweigsam und still. Und ich. Sie sahen mich beide an. Ich setzte mich langsam auf, nur mit einem leichten Stöhnen, und schaute auf meinen Bauch. Er sah hässlich aus. Schlecht zusammengenäht und mit merkwürdigen Farben befleckt – Gelblich-schwarz, Schmutzig-rot, Rosa und Braun. Doch die Wunde war jetzt geschlossen. Der Horror in meinem Innern war versteckt.
    Ich gab Casing ein Zeichen zurückzutreten, dann schwang ich die Beine herum und stieg von dem O P-Tisch . Als meine Füße den Boden berührten, gaben die Beine nach. Wasser schoss mir in die Augen. Ich beugte mich über die Liege und sog Luft ein, bis der Schwindelanfall abflaute.
    Ich war nackt.
    Ich spürte, wie das kalte Metall der Pistole an meiner Hüfte die nackte Haut berührte.
    Ich sah Casing an: »Ziehen Sie Ryan aus«, befahl ich. »Hemd und Hose, Jacke, Schuhe, Socken.«
    Als Casing sich neben Ryan niederkniete und mit der Kleidung abmühte, warf ich einen Blick hinüber zu Kamal. Er war jünger als die andern – Mitte zwanzig vielleicht. Er war ziemlich groß, dünn bis mager, mit länglicher Kopfform, einem schmalen Körper und geschmeidigen Gliedern.
    »Sehen Sie den ganzen Krempel da?«, sagte ich zu ihm und deutete auf die Papiere, Fotoaufnahmen und Videos auf dem |41| Stahltisch. »Suchen Sie eine Tasche dafür.«
    Als er sich zu dem Tisch hinüberbewegte und die Papiere und alles andere in eine alte braune Aktentasche von irgendwem stopfte, schloss ich für einen Moment die Augen und versuchte nachzudenken. Mach dein Gehirn frei, sagte ich mir. Denk nach. Denk logisch. Bring die Dinge in eine Ordnung. Vergiss all das Unbekannte, vergiss den ganzen Wahnsinn … konzentrier dich auf das, was du weißt. Was weißt du? Woran erinnerst du dich?
    Ich sah mich am Morgen das Haus verlassen … die Jacke anziehen, die Haustür zuziehen, die Straße zur Bushaltestelle entlanggehen. Es war Montagmorgen um acht. Der Himmel war grau, der Wind kalt … alles war völlig normal. Bridget hatte mich ins Krankenhaus fahren wollen, doch ihre Schwester war krank geworden und sie hatte schnell hinfahren müssen, und Pete war schon unterwegs zur Arbeit …
    »Dann nehm ich eben den Bus«, hörte ich mich sagen.
    »Bist du sicher?«, hatte Bridget geantwortet.
    »Ja.«
    »Na gut … aber zurück fährst du auf jeden Fall mit dem Taxi.«
    Ich erinnerte mich an das alles – wie ich auf den Bus wartete, einstieg, im Bus saß … beim Krankenhaus ankam, meine Terminkarte vorlegte … die endlosen Flure entlangging und den Schildern folgte … das Krankenhaushemd anzog und mich ins Wartezimmer setzte … am Fenster stand, nach draußen auf das Krankenhausgelände schaute und mich zu überzeugen versuchte, dass alles in Ordnung sein würde … es war ja nur eine Routineuntersuchung … das Einzige, was sie tun würden, war, mir einen Schlauch durch die Kehle zu schieben und einen gründlichen Blick in meinen Magen zu werfen. Worüber sollte ich mir also |42| Sorgen machen?
    Ich schlug die Augen auf und sah auf Ryan hinab. Er war jetzt fast nackt, hatte nur noch Unterwäsche an. Seidenshorts. In dem kalten Licht wirkte seine Haut hart und weiß, wie weißer Kunststoff. Casing stand vor ihm, mit der Kleidung über den Armen, er wirkte verwirrt und fehl am Platz.
Ich bin Chirurg und kein Träger
, sagte der Ausdruck in seinem Gesicht.
    »Her damit«, befahl ich ihm.
    Er schlurfte zu mir, ließ die Kleidung auf die Liege fallen und trat wieder zurück. Ich schaute hinüber zu Kamal. Er war fertig mit dem Einpacken aller Sachen in die Aktentasche, stand da und sah mich an. Ich befahl ihm, die Aktentasche auf dem Tisch liegen zu lassen und sich auf den Boden zu setzen.
    »Und Sie«, sagte ich zu Casing, »stellen sich wieder da rüber, mit dem Gesicht zur Wand.«
    Ich fing an, Ryans Sachen anzuziehen, Hose, weißes Hemd, Socken, Jacke. Alles saß mir ein bisschen zu weit, doch es war ein gutes Gefühl, wieder angezogen zu sein. Es vermittelte mir einen Eindruck von Sicherheit. Stoff auf Haut. Es gab mir das Gefühl, Mensch zu sein.
    Ich schlüpfte in die Schuhe, schaute hoch, dann kniete ich mich nieder und band die Schnürsenkel. Ich stand auf und stampfte mit den Füßen, dann ging ich dorthin, wo Kamal mit verschränkten Beinen auf dem Fußboden saß.
    »Wie seh ich aus?«, fragte ich ihn.
    Er sah zu mir auf. Seine Lippen waren schmal und geschwungen und er besaß kleine milchweiße Zähne.
    »Gut«, sagte er.
    Ich befahl ihm aufzustehen.
    |43| Er erhob sich mit
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