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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders
Autoren: Rainer Dresen
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Straßenschuhe im Vorraum des Yoga-Lofts ausziehen und auf keinen Fall mit Schuhen den Umkleideraum betreten soll. Das gefällt mir gar nicht. Dieses Gebot erinnert mich an Besuche bei spießigen Bekannten, die einen bitten, die Wohnung auf Strümpfen zu betreten. Bei größeren Besuchergruppen führt dies stets zu unschönen Schuhansammlungen nebst typischen Gerüchen im Flur, was mich für immer an meine Referendar-Studienfahrt nach Istanbul und die zahlreichen Moscheebesichtigungen erinnern wird. Meist besuche ich deshalb Wohnungen von Strumpffetischisten nur einmal. Nicht zuletzt deshalb habe ich einen sehr überschaubaren Freundeskreis und eigentlich viel Zeit für - Yoga.
    Schließlich wird empfohlen, mindestens zehn Minuten vor Beginn der Yoga-Stunde da zu sein und in Ruhe im Raum anzukommen. Diesen Rat werde ich gerne befolgen. Ich nehme mir ganz fest vor, so rechtzeitig anzukommen, dass ich einen unauffälligen Platz ganz hinten im Raum einnehmen kann.
    „Wenn du möchtest, dehne dich vor den Übungen“lautet eine weitere Empfehlung. Nein danke, dehnen möchte ich mich nicht. Ich dehne mich nämlich nie, das habe ich noch nie gemacht. Früher beim Fußballspielen bin ich auf den Platz gerannt, und es ging sofort los. Wenn ich ab und zu jogge, fange ich beim Betreten der Straße an zu laufen und höre wieder auf, wenn ich meine Laufstrecke beendet habe. Andere Läufer, die sich
vor dem Start eingehend über Brückengeländer beugen oder auf einem Bein stehend das andere zum Po ziehen, halte ich insgeheim für Weicheier. Beim Rennradfahren hole ich das Sportgerät aus dem Keller, setze mich drauf und fahre ab der Haustür volle Pulle los. Beim Skifahren nehme ich die Gondel nach oben, dort angekommen schnalle ich die Skischuhe so fest es geht und fahre in den Hang. Dehnen, so mein fester Vorsatz, werde ich mich auch beim Yoga nicht. Selten so getäuscht, denn Yoga, so sollte ich schnell lernen, ist ja eine Art andauernder Dehnungsübung.
    „Bitte nutzt den Raum optimal. Die Yoga-Matten immer leicht versetzt nebeneinanderlegen, um Platz zu haben. Mit dieser Ausrichtung behinderst du niemanden beim Üben.“Das ist ein weiterer Ratschlag aus dem Internet. Aha, es kann also voll werden. Das mag ich gar nicht. Es dürfen zwar gerne so viele andere da sein, dass ich nicht auffalle, aber bitte doch so wenige, dass es mir nicht zu eng wird.
    Dank meiner Studien der einschlägigen Ratgeberseiten ist mir außerdem bereits bekannt, dass bei den Übungen einYoga-Set - bestehend aus Matte, Block, Band und einer Decke für die Endentspannung - Verwendung finden wird. Wozu die Matte gut sein soll, kann ich mir denken: Man sitzt, steht, liegt darauf. Was aber soll ich mit einem „Block“anfangen, wozu brauche ich ein „Band“? Und was um Himmels willen erwartet mich bei der „Endentspannung“? Aus meiner beruflichen Praxis, die ab und zu darin besteht, Bücher unter Pornografieverdacht juristisch zu entschärfen, ist mir der Begriff der Handentspannung nicht unbekannt, aber den Begriff Endentspannung in die zeitgenössische Romanliteratur einzuführen, daran haben sich selbst die verwegensten Autoren bislang nicht gewagt.

    Mit all diesen Informationen und guten Ratschlägen von einigen meiner Kolleginnen, allesamt langjährige Yogini, wie die weiblichen Yoga-Anhänger heißen, versehen, begebe ich mich rechtzeitig zur Yoga-Schule. Ich öffne die Tür und sehe einen eher nüchtern gehaltenen Vorraum. Es riecht zwar vorurteilsgemäß nach Räucherstäbchen, aber es gibt für mich unerwartet auch eine Art Verkaufsraum. Angeboten werden dort Yoga-Bekleidung, Matten, Bücher, CDs. Was ich aber im Empfangsbereich vor allem sehe, sind Schuhe. Sehr viele Schuhe. Fast nur Damenschuhe. Offenbar herrscht hier tatsächlich absolutes Straßenschuhverbot, und es sind anscheinend überwiegend Frauen anwesend. Damit kann ich leben, das kenne ich vom Verlag her nicht anders. Also ziehe ich meine Schuhe gleich hinter der Eingangstür aus und begebe mich auf Strümpfen zur Kassentheke. Zusätzlich zu meinem Anfängerstatus stärkt der schuhlose Zustand nicht gerade mein Selbstwertgefühl, denn ohne Schuhe stehe ich nicht gerne vor fremden Menschen. Immerhin sind die Socken frisch und ohne Löcher, die Zehennägel in weiser Voraussicht geschnitten.
    Auf Socken also, gleichwohl so würdevoll wie möglich, stehe ich vor der Kassenkraft und gestehe, was ohnehin jeder merkt: „Ich bin zum ersten Mal hier, was muss ich wissen?“„Füll
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