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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders
Autoren: Rainer Dresen
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wird uns erklärt, wozu das Band dient. Damit lassen sich, auf dem Rücken liegend, die im 90-Grad-Winkel in die Luft gestreckten Beine dehnen. Dehnen? Das hatte ich für mich im Vorfeld doch eigentlich kategorisch ausgeschlossen. Trotzdem schlinge ich brav wie alle anderen auch das Band über die Fußsohlen und halte mich in einer Art natürlichem Gleichgewicht. Was tut man nicht alles, um nicht unangenehm aufzufallen?

    Nach dem gedehnten Vorgeplänkel fängt endlich die Gymnastik an, und als Erstes kommt etwas, an das ich mich noch dunkel aus meiner kleinkindlichen Krabbelphase erinnern kann: der Vierfüßlerstand. Dazu kniet man sich hin und begibt sich dann auf die Handflächen. Dann hebt man die Hüften und schon befindet man sich im herabschauenden Hund, der yogischen Standardausruhübung.
Anders als beim ordinären Vierfüßlerstand in der Krabbelphase gilt es beim Yoga-Hund jedoch einiges zu beachten: Man muss die Finger spreizen, die Handgelenke ausrichten, der Mittelfinger muss nach vorne, die Fersen auf den Boden, der Kopf runter und der Hintern hoch. Mein Po ist offenbar nicht hoch genug, deshalb tritt die Lehrerin unbemerkt hinter mich und zieht mich mit einer kräftigen Bewegung an den Hüften nach hinten.
    Danach legen wir uns hin und versuchen, den Befehl zu befolgen: „Die Schultern müssen innen runder werden“. Klingt komisch, ist es auch, und ich bin erleichtert, als wir für die nächste Übung wieder aufstehen dürfen.Aber meine Erleichterung hält nur kurz an: Wir stehen und heben ein Bein, das wir dann zum Baum an den inneren Oberschenkel des anderen Beins legen. Von wegen Baum, ich erinnere wohl eher an einen Setzling im Sturm und falle sofort auf die Seite.
    Gut gefällt mir die sich anschließende, gar nicht sanftmütig-yogisch klingende Übung Krieger, bei der man seitlich steht, ein Bein rechtwinklig beugt und das andere ausstreckt. Hier gilt offenbar je tiefer desto besser. Dazu werden die Hände entweder hochgehalten oder seitlich ausgestreckt.
    Eine verwirrende Übung für mich als Mann ist der Drehsitz, weil man so viel gleichzeitig machen muss. Dazu setzt man sich auf die Matte, winkelt das linke Bein an, bis der Knöchel fast am Po ist, legt dann den rechten Knöchel um das linke Knie und dreht den ganzen Körper um möglichst 90 Grad nach hinten. Das liest sich kompliziert, und das ist es nicht nur beim ersten Mal auch, besonders, wenn man offenbar der Einzige der ganzen Klasse ist, der die Übung noch nie gemacht hat. Hier hilft auch bloßes Abschauen bei den anderen nicht recht weiter, denn es dauert geraume Zeit, bis man erkennt, welches Bein genau
wohin soll. Und kaum hat man sich mühsam zurechtgezupft, wird der Sitz andersherum befohlen. Linker Knöchel um rechtes Knie, und wieder bin ich erst annähernd in der geforderten Haltung, als der Rest der Gruppe längst fertig ist.
    Deshalb bin ich froh, als es darum geht, ein liegendes Rad zu formen. Das kenne ich ja bereits von Annika. Man legt sich auf den Rücken, zieht die Beine an, legt die Hände neben die Ohren und versucht, sich aufzurichten. Mein Rad hat nichts Rundes an sich, aber ich weiß, was verlangt ist, und ich komme tatsächlich hoch. Heute ist nicht der Tag für Feinheiten.

    Dann ordnet die Kursleiterin eine Stellung an, deren bloße Ankündigung nicht nur in dieser, sondern, wie ich später erfahren werde, in jeder Yoga-Klasse für yogauntypische Schnappatmung sorgt: „Wir üben jetzt den Handstand.“Der Handstand ist eine Umkehrhaltung, und Umkehrhaltungen sind irgendwie yogisch-gut. Offiziell, weil alle Organe im wahrsten Sinn auf den Kopf gestellt werden und denen das angeblich guttun soll. Ich vermute eher, der Handstand hat vor allem die Aufgabe, dem beim Gelingen einfacherer Übungen zu Euphorie und Selbstüberschätzung neigenden typischen Yoga-Schüler wieder den richtigen Sinn für Demut beizubringen. Denn demütig wird man, wenn man sieht, wie leicht die Yoga-Lehrerin sich in den Handstand begibt und man selbst nach ein paar zuckenden Bewegungen wieder nach unten fällt.
    Zum Glück geht es aber fast allen anderen Schülern auch so, deshalb sind Handstandübungen Partnerübungen. Das heißt, man hilft sich. Natürlich wusste ich davon nichts, als ich meinen Platz in der hintersten Ecke des Raums gewählt habe, dort wo sich auch andere Anfänger
gerne verstecken. Jetzt hätte ich es gar nicht schlecht gefunden, wenn ich ganz vorne liegen würde, da, wo sich die Fortgeschritteneren bevorzugt
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