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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders
Autoren: Rainer Dresen
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das mal aus, dann reden wir weiter.“Wie beim Besuch bei einem neuen Zahnarzt werde ich gefragt, ob ich gesundheitlichen Einschränkungen unterliege, ob meine Wirbelsäule in Ordnung sei. Denn „bestimmte Übungen und Techniken sind für den gesunden Menschen gedacht, für andere müssen sie variiert werden“. Zum Glück, davon gehe ich jetzt einfach mal aus, ist bei mir noch alles tipptopp in Schuss, seit Jahrzehnten war ich nicht mehr bei einer Untersuchung, einen Hausarzt hatte ich noch nie, als Patient war ich zum letzten Mal
bei meiner Geburt im Krankenhaus. So genau wollen das die Yogis aber gar nicht wissen, ich verneine ein paar kurze Fragen zu möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen und stehe wieder vor der Thekenfrau. Die trägt, wie ich jetzt erst sehe, ihre Socken wie eine japanische Geisha in einer Zehenstegsandale und ist, wie viele Yoga-Frauen, tätowiert. In diesem Fall flächendeckend, aber doch geschmackvoll auf der Schulter.
    Ich nehme das Angebot für einen verbilligten Schnupperkurs an und bleibe für den sich anschließenden Kurs auf angeblich durchschnittlichem Niveau gleich da.

    Nachdem ich meine mitgebrachte rote Calvin-Klein-Badeshorts im Hawaiilook und ein weißes Muji-T-Shirt angezogen habe, betrete ich mit nackten Füßen den Übungsraum. Dort sehe ich zum ersten Mal etwas, was offenbar zum Yoga gehört wie grölende Fans zum Fußball, aber deutlich weniger stört: Yoga-Frauen in großer Zahl liegen bereits auf dem Boden, auf Matten ausgestreckt, die Augen geschlossen, dafür die angewinkelten Oberschenkel um so weiter geöffnet. Herren sind in dieser Stunde klischeegemäß nicht anwesend. Die Damen, so erfahre ich später, widmen sich keinem urzeitlichen Fruchtbarkeitsritual, sondern bereiten sich durch sogenannte Hüftöffnungen auf die bevorstehende Stunde vor.
    Ich will gar nicht hinsehen, das ist mir viel zu intim. So gut kenne ich die Damen schließlich nicht, ich suche doch nur einen freien Platz. Den finde ich ganz am Rand und setze mich auf den harten Boden. Irgendetwas fehlt. Klar, die Yoga-Matte. Vor meinem ersten Yoga-Versuch, von dem ich noch nicht weiß, wie er ausgehen und ob ihm je ein zweiter folgen wird, habe ich mir keine eigene Matte besorgt. Ich muss mir also eine Leihmatte holen und dazu aufstehen. Wieder laufe ich Slalom um die geöffneten Frauenbeine. Langsam gewöhne ich mich daran, vor allem weil niemand Notiz von mir nimmt. Ich greife mir also eine Leihmatte. Die hängt an der Wand auf einer Art Kleiderbügel. Es gibt sie in den Farben hellrosa und dunkelrosa. Ich entscheide mich für das etwas männlichere dunkelrosa Modell.

    Die Leihmatte weist, wie ich betrübt feststelle, an Fußund Kopfseite schon deutliche Abnutzungsspuren auf. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viele Generationen von Yoga-Schülern darauf schon schwitzend ihre Übungen
verrichtet haben. Kurz entschlossen setze ich mich trotzdem hin und versuche, mich ebenfalls auf die bevorstehende Stunde vorzubereiten. Die Oberschenkel aber lasse ich schön geschlossen, vielleicht ist das eine Übung nur für Frauen und führt bei Männern zu bleibenden Schäden. Bloß nichts falsch machen und Anweisungen abwarten, lautet meine Devise.

    Beim neuerlichen Umsehen bemerke ich, dass trotz sommerlicher Hitze alle bis auf mich eine Wolldecke neben sich liegen haben und ein Klötzchen aus Kork, vielleicht 30 mal zehn Zentimeter groß, sowie eine Art Gürtel. Gut, denke ich. When in Rome, do as the Romans do. Also stehe ich zum zweiten Mal auf und oute mich spätestens dadurch als absoluter Anfänger. Ich hole mir erst jetzt die noch fehlenden Utensilien aus dem Wandschrank nebenan. Das Klötzchen, „Block“genannt, sieht ganz in Ordnung aus. Es ist leicht und liegt angenehm in der Hand. Aber der Gürtel, unter Yogis nennt man ihn „Band“, scheint mir nicht mehr ganz neu zu sein, er ist etwas speckig und ausgefranst. Auch hier befürchte ich vorangegangenen anonymen Zehenkontakt in nicht mehr aufzuklärender Anzahl. Die Decke wiederum sieht recht neu oder auch nur ziemlich strapazierfähig aus. Allerdings ist sie so warm, als hätte sie bis vor Kurzem noch auf einer Heizung gelegen. Hat sie aber nicht. Sie ist nicht nur warm, sondern auch etwas feucht. Kein Wunder, wahrscheinlich war sie bis vor wenigen Minuten noch bei einem Yoga-Schüler des Vorgängerkurses in Gebrauch und gibt nur langsam dessen frisch aufgenommene Körperwärme wieder ab. Auch das nehme ich billigend in Kauf, vielleicht
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