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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders
Autoren: Rainer Dresen
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aufhalten, um nicht von uns Dilettanten in der Konzentration oder dem ästhetischen Empfinden gestört zu werden. Denn offenbar macht regelmäßiges Yoga die Frauen schöner. Die schönen Frauen jedenfalls liegen vorne, unerreichbar für mich und meine Handstandpartnerübung. Direkt neben mir aber liegt eine sicher sehr sympathische und liebenswerte 80-Kilo-Frau. Mit dieser also habe ich das Vergnügen, gemeinsam Handstand zu üben. Dazu muss ich mich hinter die übende Person stellen, die versucht, sich aus einer gebeugten Stehhaltung in den Handstand aufzuschwingen. Die Aufgabe des Unterstützenden ist dabei lediglich, den Aufwärtsschwung zu bremsen. Im Falle meiner Partnerin ist es nicht weit her mit dem Schwung. Die ersten beiden Versuche enden im Nichts, weit entfernt von meinen ausgestreckten Armen. Beim dritten, mutmaßlich wieder versandenden Aufschwung schnappe ich mir die auch kaum zu verfehlenden Hüften meiner Übungsgenossin und wuchte sie nach oben. Dort halte ich sie fünf Sekunden, bevor ich sie wieder der Schwerkraft überlasse. Puh, geschafft,Yoga kann ganz schön kräftezehrend sein.

    Nach derartigen Anstrengungen bin ich sehr erfreut, als die letzten Übungen angekündigt werden. Zunächst wird die Kerze verlangt, die man als Yogi aber Schulterstand nennen muss. Egal, wie sie heißt, ich genieße, dass man sie ohne Unterstützung anderer zu praktizieren hat. Allerdings bedarf sie gewisser Vorbereitung.Wir sollen den vorderen Teil unserer Matte umschlagen und als zusätzliches Polster eine Decke einwickeln. Wir bauen ein „Podest“. Auf dieses legen wir den Kopf. Dann heben wir die Hüften
und legen die Knie an die Stirn. Die Hände greifen zur Unterstützung an die Hüften, und wir heben die Beine senkrecht nach oben. Schon nach wenigen Sekunden würde ich die Beine gerne wieder senken. Als nach gefühlten zehn Minuten die Übung aufgelöst wird und wir uns wieder hinlegen dürfen, bin ich sehr erleichtert.
    Danach begeben wir uns in den Fisch. Dazu strecken wir uns auf dem Rücken lang aus, die Hände liegen parallel neben dem Körper, der Kopf wird auf dem Boden liegend so ausgestreckt, dass „der Scheitel aufgestellt“ist, also das Gewicht auf der Kopfoberseite liegt. Die erfahreneren Teilnehmer stöhnen dann in dieser Haltung wie befohlen inbrünstig laut und kraftvoll und ohne jedes Gefühl für die Peinlichkeit dieses Geräuschs, sie machen den Löwen.

    Nach diesen letzten Übungen aus dem Tierreich kommt die Anweisung „Hinlegen, zudecken, Endentspannung“. Jetzt werde ich also endlich erfahren, was es damit auf sich hat. Wir legen uns auf den Rücken, Fersen auf den Boden, Zehen nach außen fallend, die Arme auf der Seite, Handflächen nach oben. Dazu sollen wir unsere durchgeschwitzten Körper zudecken. Jetzt verstehe ich auch, wie die Körperwärme in die Decken kommt. Kurz vor Ende schwitzen wir die Decken also noch schnell an und legen sie nach dem Kurs auf den Deckenstapel.Von dort ziehen sie sich die Teilnehmer des gleich anschließenden Kurses dann wieder herunter, zwar ahnend, aber nicht wahrhaben wollend, was kurz zuvor mit ihnen passiert ist.
    Nachdem wir ungefähr zehn Minuten mit sanfter Meditationsmusik ausruhend gelegen haben, ruft uns die Stimme der Lehrerin wieder ins Hier und Jetzt. „Langsam wieder tiefer und bewusster atmen. Arme, Hände, Beine, Füße sanft bewegen, Kopf hin und her drehen. Dann legt
euch auf die rechte Seite, kuschelt euch in euren Arm.“Dann richten wir uns auf, sollen uns nach vorne beugen und im Zweifel irgendeine indische Gottheit grüßen und fürs Dasein danken. Darauf verzichte ich gerne, ich bin nicht aus der Kirche ausgetreten, um jetzt über den Umweg Yoga wieder mitzumachen. Mit einem letzten, religiös unverdächtigen, von mir trotzdem nur schweigsam zur Kenntnis genommenen - also beinahe kollektiven - Om endet meine erste Yoga-Stunde.

    Von einer seltsamen Euphorie erfasst, die deutlich mehr ist als die Erleichterung, die erste Stunde ohne größere Peinlichkeiten überstanden zu haben, schwebe ich nach draußen und gieße mir einen Yoga-Tee ein, natürlich mit einem Schuss garantiert veganer Sojamilch. Den anderen ging es offenbar ähnlich. Schweigen, aber auch ein gewisses Leuchten im Gesicht, wohin ich blicke, sicher auch im Spiegel, wenn es denn einen solchen in einer Yoga-Schule geben würde. Mist, denke ich. Das gefällt mir, warum auch immer. Das könnte der Beginn meiner Karriere als Yogi gewesen sein.Wie soll ich das
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