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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir
Autoren: Lino Munaretto
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    Langsam kroch Alex aus dem Bett, stand auf und trottete auf wackeligen Beinen aus seinem Zimmer und durch den düsteren Flur. Jeder Lidschlag kostete ihn Kraft, als wollte er Betonplatten anheben. Unbeholfen stieß er die Tür zum Bad auf. Vor dem Spiegel blieb er auf den kühlen Fliesen stehen. Er sah scheiße aus. Die langen dunkelblonden Haare standen in alle Richtungen ab. Irgendwo dazwischen schauten zwei Augen heraus, die mehr rot als braun waren.
    Alex beugte den Kopf über das Waschbecken, drehte den Hahn auf und schöpfte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Im Abfluss gurgelte es. Er hob den Kopf. Jetzt war er immerhin wach genug, um sich an einem neuen Pickel zu stören, der unterhalb des Kinns aufgetaucht war. »Scheiße«, fluchte er leise und rieb ihn großzügig mit Clearasil ein. Es brachte ohnehin nichts.
    Im fahlen Licht betrachtete er sein Spiegelbild genauer.
    Sein Körper war trotz des Trainings kaum kräftiger geworden. Hundert Liegestützen jeden Abend hätten doch ein wenig mehr Wirkung zeigen können. Er war einfach nicht der Typ, der schnell Muskeln aufbaute. Immerhin war er nicht so entsetzlich dick wie Georg. Sein Bruder Justus – der hatte nie Probleme damit gehabt, sich ein breites Kreuz anzutrainieren. Bestimmt hatte er etwas genommen. Zumindest Eiweißpräparate.
    Alex spannte seinen Arm an. Vielleicht sollte er seine Mutter doch noch einmal wegen der Anmeldung beim Fitnessstudio nerven. »Sorry, Alex. Dafür reicht das Geld nicht.« Er schüttelte den Kopf. Er konnte trotzdem auf dem Dachboden nachsehen, ob Justus seine alten Hanteln dagelassen hatte, als er Hals über Kopf ausgezogen war. Wahrscheinlich hatte er sie in dem Durcheinander vergessen und sie lagen jetzt irgendwo eingestaubt auf den knarrenden Dielen neben seinem anderen Kram. Das war dann wohl alles, was von ihm geblieben war. Selbst der Geruch aus Justus’ altem Zimmer war langsam verschwunden, und wenn Alex es mal betrat, wirkte es merkwürdig fremd. Kurz fragte er sich, was sein großer Bruder wohl machte, schüttelte dann aber die Gedanken ab und zog sich aus.
    Aus der Dusche kam kein warmes Wasser, selbst wenn er den roten Hahn voll aufdrehte. Schon seit einem Monat ging das so, und seit sein Vater und sein Bruder weg waren, kümmerte sich niemand um die Reparaturen. Alex hatte das Gefühl, dass das winzige Reihenhaus, das sie von Oma geerbt hatten, immer mehr verfiel. Immerhin mussten sie nicht in einer der noch trostloseren Mietskasernen im Viertel wohnen. Im Sommer konnte er im Garten mit den Jungs grillen. Wenn die Sonne durch die kleinen Fenster fiel und das Haus mit Licht durchflutete, konnte man die Tristesse für einen Moment vergessen.
    Alex seufzte, doch kaltes Wasser war jetzt genau das, was er brauchte. Betäubung. Kitzel. Er wickelte seinen Kopf in das rote Handtuch, das neben der Dusche hing, und trat wieder vor den Spiegel. Fönen. T-Shirt überziehen. Inzwischen war er auch wach genug. Er riss ein paar Taschentücher aus dem Spender, der auf dem schmalen Schrank stand. Dann schloss er die Augen – ein kurzes Zucken. Diesmal war es kein kalter, sondern ein warmer Schauer. Für einen kleinen Moment fühlte er Zufriedenheit. Seine Augen schauten ihn aus dem Spiegel nicht mehr ganz so müde an. Er spülte die Tücher in der Toilette herunter und schon war das gute Gefühl weg. Der Anblick so deprimierend wie immer. Der Radiowecker auf dem Badschrank zeigte ihm, dass er spät dran war. Eilig zog er seine Boxershorts an, die Jeans darüber und hastete zurück in sein Zimmer.
    Die alte, abgewetzte Umhängetasche warf er sich über die Schulter, wie sie vom Montag gepackt war, auch wenn heute schon Freitag war. Handy, Schlüssel und das viel zu dünne Portemonnaie verteilte er achtlos in den Hosentaschen. Bereits auf der Treppe, zog er sich noch den Gürtel durch die Schlaufen seiner Jeans.
    Er hatte gehofft, einfach sein belegtes Toastbrot mitnehmen und abhauen zu können. Stattdessen saß dort ein Mann in Feinrippunterhemd am Küchentisch neben Alex’ Mutter und grinste ihn an.
    Alex verstand. Schließlich erinnerte er sich an das Stöhnen, das er trotz lauter Musik aus ihrem Schlafzimmer gehört hatte. Vor ein Uhr nachts hatte er nicht einschlafen können.
    »Kauf dir einen Döner, Schatz«, flötete seine Mutter und drückte ihm einen Fünf-Euro-Schein in die Hand. Sie musste unglaublich guten Sex gehabt haben. Anders war ihre ungewohnte Zufriedenheit nicht zu erklären.
    Alex lächelte matt und
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