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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir
Autoren: Lino Munaretto
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hättest, seit Papa weg ist … vielleicht …«
    Alex lachte stumm aus Verlegenheit und schüttelte den Kopf. »Du hast dich echt verändert.« Ihre Augen trafen sich wieder. »Aber wenn du nicht aufhörst, so viel zu reden, wirst du mich noch in hundert Jahren nerven.«
    »Du hast recht«, rief Justus befreit. »Ich … hab mir überlegt, dass wir wegfahren, wenn ich hier raus bin. Nur wir zwei. Ist das okay?«
    »Wohin?«
    »Nach Berlin? Wenn du dich bis dahin nicht getraut hast.«
    Es war Alex, als schaute er in einen Spiegel, als er sein Lächeln sah.
    Als Alex vor das Gefängnistor trat, schlug ihm ein kühler Herbstwind entgegen. Er richtete den Kragen auf und zog den Reißverschluss bis oben zu. Die Sonne stand tief, das Blau des Himmels hatte einen roten Schimmer. Er zwinkerte, bis er sich an das blendende Licht gewöhnt hatte. Dann kramte er in seiner Jackentasche nach den Zigaretten. Die Flamme wurde zweimal ausgeblasen, endlich glimmte es. Er hatte Lisa gebeten, ein paar Ecken weiter im Café zu warten. Er brauchte noch etwas Zeit und wollte nicht, dass sie die ganze Zeit auf die hohe Backsteinmauer mit dem NATO -Stacheldraht starrte, während er seinen Bruder besuchte. Der erste Zug war besonders tief, wirkte so erleichternd wie lange nicht. Er ging um den Block und sah in die Schaufenster. In einem Antiquitätenladen lagen alte Porzellanteller und Puppen mit lockigem Kunsthaar und roten Bäckchen. Hinter der nächsten Scheibe lagen Stapel von Büchern. Einen Augenblick blieb er stehen und las einen Buchtitel nach dem anderen, als könnte einer von ihnen ihm offenbaren, was er zu tun hatte. Er überquerte die Straße und schnippte die runtergebrannte Zigarette hinter einen Müllcontainer. Als er sie schon sah, den Rücken ihm zugewandt, hielt er einen Moment inne und beobachtete sie einfach nur. Er hatte immer noch keine Antwort auf seine Frage gefunden, aber jetzt wusste er, dass er nicht mehr suchen brauchte. Er brauchte keine Pläne machen.
    • • •
    Lisa hatte ihren Café Latte ausgetrunken und schaute auf die Uhr. Sie war nicht ungeduldig. Im Gegenteil. In den letzten Tagen war die Zeit viel zu schnell verstrichen. Sie hatte die Regale schon geräumt und das meiste bereits in Kartons verstaut.
    Jenny war da gewesen und hatte ihr geholfen. Die kleine Schatulle mit den alten Liebesbriefen hatte sie kurz in der Hand gehalten. Mit einem Schmunzeln hatte sie den Inhalt in eine Mülltüte geschüttet, in der alles verschwand, was sie nicht behalten wollte.
    »Darf ich die als Andenken haben?«, hatte Jenny gefragt.
    »Klar«, hatte Lisa entgegnet. Vielleicht würde ihre Freundin etwas anderes finden, was es wert war, darin aufbewahrt zu werden.
    Auf dem Schreibtisch hatten Einrichtungs-Kataloge gelegen. Ihre Mutter hatte sie ihr hingelegt. »Vielleicht willst du dich neu einrichten.« Es hatte bisschen wie eine Entschuldigung geklungen. Sie sollte leichter loslassen können, wenn alles in ihrem Zimmer in Berlin neu wäre. Es gab schicke, sündhaft teure Möbel zur Auswahl. Sie hatte die Prospekte nur einmal lustlos durchgeblättert und dann mit zu dem Müll geworfen.
    Mit Alex hatte sie sich nur bei ihm daheim getroffen, sein Zimmer würde sie vermissen – in ihrem eigenen wurde sie nur daran erinnert, wie leer ihr Leben früher gewesen war und dass sie bald wegziehen würde. Sie dachte an diesen Tag, konnte sich ihn aber gar nicht richtig vorstellen, so unwirklich schien es.
    Sie rührte mit dem schwarzen Strohhalm in der aufgeschäumten Milch, die am Boden des Glases hängengeblieben war. Vielleicht war es zu gewagt, weiterzudenken. Aber vielleicht musste sie das auch gar nicht.
    • • •
    Ohne ein Wort ließ er sich auf den Stuhl gegenüber von ihr fallen und beugte sich etwas zu ihr vor. Eine Weile lang schaute er sie nur an, dann sprach er es einfach aus. Es war das erste Mal, dass er sich ganz sicher war, bei dem, was er sagte. »Weißt du was …« Es war keine Frage, trotzdem nickte sie. Er ließ den Blick kurz schweifen, bevor er den Satz zu Ende brachte. »Egal wie lange du noch hier bist. Ich würde sagen, wir machen das Beste aus jedem Tag, den wir uns sehen.«
    Lisa setzte die Sonnenbrille ab und sah ihn an. Ein Lächeln hatte sich nach und nach auf ihre Lippen gelegt. »Dann fangen wir wohl heute an.«

Lino Munaretto • Zwischen dir und mir
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