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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir
Autoren: Lino Munaretto
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jedem Satz holte Alex’ Mutter neu Luft. Ihre Augen waren immer noch feucht.
    Der Arzt hatte eine Pause gemacht, in der nicht nur sein Blick verriet, dass er das Entscheidende noch nicht gesagt hatte. »Trotzdem …«, fing er an, »tut es mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass er sein linkes Bein nicht mehr bewegen kann. Einer der Stiche hat einen Nerv durchtrennt.«
    Ein heller abgehackter Schrei, der in Tränen erstickt wurde.
    Alex verzog keine Miene.
    »Für immer?«, fragte seine Mutter mit einem Funken Hoffnung, der schnell erlosch, als sie seine Augen sah.
    Ein stummes Nicken, damit war alles gesagt.
    »Kann ich zu ihm?«, fragte Alex. Er war selbst verwundert, wie schnell er seine Stimme wiedergefunden hatte.
    Doktor Dreher schien auch noch etwas abwesend zu sein und antwortete erst, als er den Blick von der weinenden Mutter seines Patienten gelöst hatte.
    »Er ist noch sehr schwach. Maximal eine Person sollte ihn besuchen. Ich weiß nicht, ob Sie Ihrer Mutter den Vortritt lassen wollen.«
    »Ist schon gut.« Das Sprechen fiel ihr immer noch schwer. »Geh du zuerst, Alex.«
    Der Arzt nickte. »Eine Schwester wird gleich nach ihm schauen, nutzen Sie die Zeit bis dahin.«
    Alex’ Hand lag einen Moment auf dem kalten Metall der Klinke, bevor er die Tür öffnete und eintrat. Stille. Nur das Piepen der Geräte. Mit einem lauten Klack fiel sie hinter ihm ins Schloss und er stand in einem vanillegelb gestrichenen Krankenhauszimmer mit riesigen, verschlossenen Fenstern. Sofort fiel sein Blick auf Justus, der in seinem Bett lag und ihn anschaute. Alex hätte nicht mehr sagen können, wann sein Bruder ihn das letzte Mal so angeschaut hatte. Kein überlegenes Lächeln, keine Wut, keine Stumpfheit in seinen Augen.
    »Hi«, grüßte Alex und blieb weiter an der Tür stehen.
    »Alex.« Seine Stimme klang seltsam fremd. »Hast du nicht Schule?« Es schien ihn anzustrengen, wenn er sprach. Trotzdem strahlte Freude aus dem müden Gesicht.
    »Mama hat mir geschrieben.« Alex deutete mit dem Kopf zur Tür. »Sie ist auch da.«
    Justus nickte schwach.
    »Dein Bein … ist gelähmt, sagt der Arzt.«
    »Du könntest mir einen Betonklotz auf den Fuß fallen lassen und ich würde nichts merken.«
    Er grinste müde, doch Alex sah, dass seine Augen feucht schimmerten. Er schluckte und nickte nur. Er ging zum Fenster und wandte sich wieder seinem Bruder zu.
    »Du hattest recht, Alex«, seufzte Justus. »Der ganze Scheiß – nur Betrug, nur Täuschung.«
    Alex zuckte stumm mit den Schultern.
    »Du bist nicht dumm, Alex. Und ich hab dir ständig erzählt, was du machen sollst. Ich hoffe, du hast mir nicht zu oft zugehört.« Er lächelte wieder matt.
    Immer noch schaffte Alex es nicht, was zu sagen. Zu stark war die Erinnerung an ihr letztes Wiedersehen. Und trotzdem merkte er, dass es richtig war, dass er hierhergekommen war. War es nur die Sorge gewesen oder auch ein Stückchen Hoffnung?
    »Großer Bruder, kleiner Bruder. Ich denke manchmal, du warst erwachsener als ich«, redete Justus weiter, während Alex den Vorhang des Fensters zurückschob und auf den sonnigen parkähnlichen Garten schaute, wo Patienten mit ihren Besuchern spazierten oder auf Bänken saßen. Der dicke Mann von vorhin saß jetzt neben seiner gebrechlichen Mutter unter dem Dach eines Pavillons und aß seinen Schokoriegel, während sie ihm sein Bein tätschelte.
    »Wie fühlt sich das an, wenn man da …?«, begann Alex und bereute sogleich, dass ihm nichts anderes eingefallen war.
    »… nichts mehr spürt?«, beendete Justus, der gar nicht verwundert schien, seine Frage. »Es ist verdammt … verdammt … Keine Ahnung. Ein Teil von dir fehlt einfach. Aber vielleicht empfindet man anderes mehr. Man denkt viel nach.« Seine Augen fielen für einen Moment zu.
    »Worüber denkst du nach?« Alex hatte sich ihm wieder zugewandt.
    »Hast du die Krankenschwester gesehen?«
    »Nein.«
    »Ich mag sie. Sie ist keins von den Mädchen, die ich einfach nur rumkriegen wollte. Glaube auch nicht, dass sie das tun würde.« Er schaute nachdenklich zum Fenster raus. »Sie ist zu gut dafür. Verstehst du?«
    Alex nickte. »Wie heißt sie?«
    »Keine Ahnung, ich hab sie noch nicht gefragt.« Ganz plötzlich war der Ernst verflogen.
    Alex lachte über seinen Bruder, bis der mitlachen musste. »Du bist verliebt«, zog er ihn auf.
    »Scheiße, ich weiß. Es ist albern.« Das bleiche Gesicht war etwas rot geworden.
    »Warum sprichst du sie nicht einfach an?«
    »Sie wird mich eh
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