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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir
Autoren: Lino Munaretto
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ließ er sich auf eine Bank fallen. Als hätte jemand die Zeit zurückgespult, musste er wieder an die letzten Sekunden im Klassenzimmer denken, an Lisa. Er griff nach dem Handy. Sie hatte ihm tatsächlich geschrieben.
    müssen reden. ich liebe dich.
    Alex hätte heulen können. Da saß er nun und hatte die eine Chance vertan, weil er eine andere genutzt hatte. Er hätte das Handy am liebsten weggeworfen. Es musste beschissen aussehen, wie er dasaß und dieses zerkratzte Display anstarrte. Verdammt, warum vermasselte er immer alles?
    Da senkte sich ein Schatten über ihn, blaue Ballerinas standen auf dem Kies vor ihm.
    »Hi.« Er hörte ihre Stimme, roch ihr Parfum – bevor er den Kopf hob und das Lächeln in ihren Augen sah.
    »Lisa.« Er stand langsam auf, legte seine Arme um sie und zog sie dicht an sich. Er drückte sein Gesicht in ihr weiches, lockiges Haar. »Ich bin so froh, dass du da bist.«

14
    Es war kein freundlicher Raum, in dem die Gefangenen ihren Besuch empfangen durften. Er hatte ein paar vergitterte Fenster, durch die die Sonne nur gedämpft drang. Die Tische wurden vom sterilen Licht der Neonröhren erhellt. Er musste einige Minuten warten. So blieb Zeit, die Menschen zu beobachten und sich Geschichten über ihr Leben auszudenken. Körperverletzung, Drogenbesitz, Sachbeschädigung.
    Hier und da saß eine Frau, oft in Begleitung eines Kindes. Eine Frau mit Kopftuch am Tisch neben ihm redete auf Türkisch auf ihren kleinen Jungen ein, der unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Das Gefühl, mit diesen fremden Menschen hier zu sitzen, war merkwürdig, und doch beunruhigte es Alex nicht. Er hatte andere Sorgen. Er hatte einmal mit seinem Bruder telefoniert. Konnten Menschen sich wirklich ändern? Wahrscheinlich nicht – aber Justus hatte eine andere Seite an sich wiederentdeckt, da war sich Alex sicher. Das war der Bruder, den er nur selten gekannt hatte und doch vermisste.
    Die Tür ging auf und ein Wachbeamter trat ein. »Sie haben eine halbe Stunde Zeit.«
    Einer nach dem anderen kamen sie in den Raum. Kaum einer fiel seiner Frau in die Arme. Die Kinder blieben oft verstört sitzen. Der Letzte, der den Raum humpelnd betrat, war ein junger Mann, den er fast nicht wiedererkannte. Keine Lederjacke, kein lässiges T-Shirt. Stattdessen trug er eine alte Jeans und einen karierten Strickpullover. Und eine Brille! Schon immer hatte Justus eine Brille gehabt, sie jedoch nie aufgehabt, weil er sie uncool fand. Was ihn noch stärker verändert hatte, war der schmale Bart, den er sich an seinem Kinn hatte stehen lassen. Die Augen hinter den eckigen Brillengläsern mit dem schwarzen Rand hatten ihn sofort entdeckt. Wieder eine Umarmung, die sich immer noch nicht gewohnt, aber schon etwas vertrauter anfühlte.
    »Wie geht’s dir?«, fragte Justus, als sie sich gesetzt hatten.
    »Gut.«
    Es war kurz still, während Alex seinen Bruder musterte. »Wie siehst du denn aus?«
    »Wenn man hier zu sexy aussieht, darf man die Seife besser nicht fallen lassen«, konterte sein Bruder. »Nein, Spaß. Ich lese wieder ab und an. Ohne die«, er tippte gegen den Bügel, »geht das nicht so gut.«
    »Lesen?« Alex zog seine Augenbrauen hoch. »Ich mach mir wirklich Sorgen.«
    »Na ja, ab und an die Zeitungen, die wir hier im Kiosk bekommen«, relativierte sein Bruder.
    »Aber keine Angst, ich bin hier keine Schwuchtel geworden«, lachte er. »Im Gegenteil, jeden Tag zwei Stunden pumpen.« Er spannte seinen Oberarm an. »Wenn du den Scheiß lässt«, er tippte mit einer Hand auf den Unterarm, wo der Pullover die Nadeleinstiche verdeckte, »spürst du viel mehr Kraft in deinem Körper. Mit meinem rechten Bein kann ich noch bei den Paralympics als Kickboxer antreten.«
    Alex musste lachen. »Ich hab dir eine CD gebrannt. Du bekommst sie nachher. Ich musste sie vorne zur Kontrolle abgeben. Sie bringen sie dir in die Zelle, wenn sie fertig sind.«
    »Danke«, freute sich Justus. »Die Alten werden langsam langweilig.«
    »Ist das neue Album von Everlast . Kennst du vielleicht schon, aber ich hör’s gerne, wenn ich Zeit hab.«
    »Die hab ich hier auf jeden Fall. Zumindest noch in den nächsten Wochen.«
    »Mama war gestern da. Richte ihr bitte aus, dass die Schokolade geschmeckt hat.«
    »Mach ich.«
    »Hätte ich dir vielleicht einen Rasierapparat mitbringen sollen, oder ist das hier nicht erlaubt?«
    »Wegen dem Bart? Ich glaub, sie steht drauf«, grinste Justus und strich sich über den Kinnbart.
    »Wer? Diese
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