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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir
Autoren: Lino Munaretto
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Der verdammte Streit. War das der Abschied?
    Eine Frau traf hinter der Empfangstheke ein.
    Schweigend folgte Alex der jungen Schwester in einen weiß gekachelten Raum. »Hände waschen, dann desinfizieren.« Alex zögerte nicht. Den Hahn drehte er bis zum Anschlag auf und schöpfte sich gleich auch kaltes Wasser ins Gesicht. Mit dem beißenden Geruch von Ethanol in der Nase stand er schließlich vor der Frau, die ihm einen weißen Kittel in die Hand drückte. »Der müsste passen.«
    Es war Alex egal, aber er nickte dankbar. »Kann ich jetzt zu ihm?«, war das Erste, was er wieder sagte.
    »Einen Moment.« Vor der nächsten Tür musste Alex wieder sitzen bleiben.
    »Hast du ein Handy?«
    Alex nickte. Bitte hier abgeben. Er drückte der Schwester das Gerät in die Hand, ohne noch einmal auf das Display zu schauen. Erst wenn diese Tür aufging, würde er Gewissheit haben. Wieder sah er Justus – ohne Herzschlag, bleich – Justus, der große Bruder, der ihn damals festgehalten hatte, als die Polizei kam. Justus, der ihn so fest an sich gedrückt hatte, dass das Weinen irgendwann aufgehört hatte. »Rühr dich nicht, Alex. Bleib ganz ruhig, okay? Das geht alles vorbei. Du musst still bleiben, Kleiner«, hatte er geflüstert. Ein Moment, der jetzt erst wieder Bedeutung bekam, da er mit den Füßen nervös auf den Linoleumboden wippte und die feuchten Hände im Schoß ineinander verkrampfte.
    »Warten Sie bitte noch einen Moment. Wir müssen noch ein paar Dinge klären.« Alex rührte sich nicht. Noch einmal verging eine Ewigkeit. Erst dann öffnete sich die Tür zum Haupttrakt wieder.
    »Zimmer 4. Du kannst ihn momentan noch nicht sehen. Deine Mutter wartet dort aber bereits.«
    »Danke«, sagte er flüchtig und machte sich auf den Weg. Beinahe stieß er mit einem Arzt zusammen, als er seine Mutter erblickte.
    »Pass doch auf.«
    »Entschuldigung«, murmelte er, war aber gedanklich schon bei der Frau angekommen, die dort niedergeschlagen auf einem Stuhl saß. Die Hände im Schoß gefaltet, starrte sie geradeaus durch die Fenster auf den Innenhof, wo gerade Medikamente angeliefert wurden. Er setzte sich stumm neben sie und legte unbeholfen seine Hand auf ihre Schulter. Sie trug ihr bestes Kleid, das sie auch im Restaurant angehabt hatte. Die Haare hatte sie zu einem Dutt hochgesteckt. Ihre Haltung hatte bei aller Traurigkeit etwas Würdevolles, das Alex an ihr lange nicht gesehen hatte.
    »Er ist schon seit fünf Tagen hier«, erzählte sie, ohne aufzuschauen.
    Alex ließ die Hand sinken.
    »Warum haben sie das gemacht?« Ihre Stimme bebte. »Nur wegen dem verdammten Geld.«
    Alex wusste keine Antwort.
    »Wusstest du, dass er Drogen nimmt?«
    Er musste die Gewissensbisse hinunterschlucken. »Nein«, log er, um sie nicht noch stärker zu enttäuschen.
    Sie hatte es ohnehin geahnt, aber nicht wissen wollen, Alex war sich sicher. Ihr Schluchzen berührte ihn nicht wirklich. Nicht mehr. Der kalte weiße Flur mit dem matt glänzenden Boden schien all seine Gefühle auf einmal verschluckt zu haben. Betten wurden an ihnen vorbeigerollt. Eine Krankenschwester rannte, gefolgt von einem Arzt, vorbei in den nächsten Raum. Neben ihm lag ein Stapel Zeitschriften. Er rührte sie nicht an, sondern wartete betreten, wie er es das letzte Mal in der Kirche zu seiner Konfirmation getan hatte.
    Hinter jeder Tür lag ein anderer fremder Mensch. Ein anderes Schicksal. Ein anderes Leben. Hier – ihr Leben. Vier Menschen. Eine Mutter. Zwei Söhne. Einer fehlte. Sein Stuhl würde leer bleiben. Ein blasser Schatten.
    Die Zeit verging. Die Klinke wurde heruntergedrückt, ihre Köpfe wandten sich um und ein Mann in weißem Kittel trat heraus.
    »Frau Zucker.« Er reichte ihr die Hand, nachdem er die Handschuhe abgestreift und in seiner Tasche hatte verschwinden lassen. »Ihr Sohn?« Sie nickte nur. Eine kräftige große Hand, die er nun auch Alex reichte. »Doktor Dreher«, stellte er sich knapp vor und nickte. Er schaute zum Flurende, als könnte er dort den passenden Anfang finden. Nachdem er sich geräuspert hatte, schaute er abwechselnd zu Alex, dann zu seiner Mutter. »Es tut mir leid, dass ich vorhin so wenig Zeit für Sie hatte, wir sind durch die Hitze momentan total überlastet. Was Justus angeht, so ist er außer Gefahr. Ein paar Zentimeter weiter und die Stiche hätten eine Hauptader getroffen. Auch so hat er eine Menge Blut verloren. Andere sind daran schon gestorben. Ich hatte selten einen Patienten, der so viel Glück hat.«
    Mit
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