Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir
Autoren: Lino Munaretto
Vom Netzwerk:
wäre besser gewesen. Davon hätte er keinen Schädel gehabt, davon hätte er nicht gekotzt. Er hätte es riskieren sollen, wie Flo ihm geraten hatte. Heute war die letzte Möglichkeit. Dann gäbe es vielleicht nie wieder eine. Ab und an trafen sich ihre Blicke und warfen neue Fragen auf. War sie genervt? Liebte sie ihn noch? Und immer wieder nahm er sich aufs Neue vor, nicht ständig zu ihr zu schauen, bloß um wenige Sekunden später diesen Vorsatz zu vergessen.
    »Nun, das sieht nicht danach aus. Auch in der letzten Stunde solltest du Konzentration zeigen, Alex. Vielleicht sieht man sich ja nächstes Jahr wieder.« Es hörte sich nicht an, als ob Herr Deuter ernsthaft eine Antwort von ihm erwartet hatte.
    »Lisa«, rief er mit einem Lächeln die Schülerin auf, von der er sich eine bessere Antwort erhoffte.
    Ihr Blick war zu Alex geschweift. Sie schaute ihn etwas benommen an, wandte sich zu Herrn Deuter und schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Herr Deuter. Ich muss einen Moment nicht aufgepasst haben«, entschuldigte sie sich.
    »Also, Lisa!«, wirkte er sichtlich erstaunt. »Nun gut, das passiert den Besten am letzten Schultag«, meinte er jedoch wohlwollend und fuhr nüchtern mit dem Unterricht fort.
    »Die hypnotisiert dich ja, Alter«, witzelte Julian.
    »Was willst du? Ich bin nur kurz abgeschweift.«
    Und doch konnte er nicht anders, als zu ihr rüberzusehen. Sie lächelte ihn an – eine Spur unsicher. Wie lange hatte sie ihn schon beobachtet? Genauso hatte sie ihn angeschaut, bevor sie sich das erste Mal geküsst hatten. Er wollte nicht, dass dieses Gefühl jemals vorbeiging. Er lächelte zaghaft zurück. Es war das erste Mal seit Langem. Sie ließ den Blick abreißen und griff nach ihrem iPhone. Ein Blick zum Lehrer, ein Blick zu ihm. Egal welche Botschaft sie ihm senden würde, er wusste jetzt, was er wollte. All seine Bedenken, seine Einwände, dass sie nicht zusammenpassten, schienen ihm idiotisch. Wenn er jetzt nichts unternahm, würde er nie wieder die Gelegenheit haben, mit Lisa zusammenzukommen.
    Sein Handy summte. Er war sich sicher, dass es Lisa war, die ihm eine SMS geschrieben hatte. Doch die so schnell aufkeimende Hoffnung war rasch verflogen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Lisa immer noch tippte. Hatte er ihren Blick falsch verstanden? Noch einmal schaute er auf sein Handy, um zu überprüfen, dass es keine Einbildung war. Es war keine. Es war seine Mutter. Das letzte Mal hatte sie ihm eine SMS geschrieben, als sie bei ihrer Betriebsfeier noch länger weggeblieben und erst am nächsten Morgen heimgekommen war.
    dein bruder liegt im krankenhaus.
    Jeder Gedanke an Lisa war plötzlich wie weggewischt. Sein beschissenes Leben hatte ihn wieder einmal eingeholt. Was auch immer passiert war, Alex war sich sicher, dass es kein gebrochenes Bein war. Panik ergriff ihn, das Blut rauschte in seinen Ohren. Einen Moment saß er nur da, dann stand er gehetzt auf, dass sein Stuhl krachend umfiel. Die komplette Klasse drehte sich nach ihm um. Seine Tasche ließ er achtlos stehen und ging wie in Trance Schritt für Schritt an den Tischreihen vorbei.
    »Alex?« Herr Deuter hatte die Unruhe bemerkt und sich von der Tafel abgewandt. Völlig verdutzt starrte sein Lehrer ihn an. Die unerwartete Störung schien ihn aus der Fassung gebracht zu haben. Das Kreidestück hielt er immer noch auf Tafelhöhe, als wollte er gleich in der Luft weiterschreiben. »Würdest du dich vielleicht wieder hinsetzen?«
    »Ich muss gehen«, erklärte Alex kurz und wenig überzeugend. Was sollte er anderes sagen?
    »Oh, das würden deine Mitschüler wohl auch gerne«, lachte Deuter süffisant und zeigte mit dem Kreidestück, wo sein Platz war.
    »Mein Bruder ist im Krankenhaus«, stieß Alex schließlich hervor und machte einen weiteren Schritt zur Tür.
    »Ah, Justus Zucker. Ich erinnere mich gut. Ein exzellenter Schüler. Der intelligenteste, den ich vielleicht bisher hatte. Eine Schande, was er aus sich gemacht hat …«, schweifte Deuter ab und rückte die Brille etwas höher. »Du glaubst doch nicht, dass ich dir diese billige Ausrede abnehme?«, fragte er ihn mit einem ironischen Zucken um die Mundwinkel.
    Alex atmete tief durch. Er hatte diesen verdammten Wichser schon immer gehasst. Doch nie war der Drang so groß gewesen, ihm einen Faustschlag zu verpassen. »Sie können mich mal«, zischte er und ging weiter zur Tür. Auf dem Weg, den ihm Deuter immer noch versperrte, stieß er den alten Mathelehrer mit der Schulter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher