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Bei Anbruch der Nacht

Titel: Bei Anbruch der Nacht
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Augen mit ihm reden.«
    Im Aufzug lächelten sie einander liebevoll an, sprachen aber nicht. Als sie aus dem Gebäude traten, fanden sie die Piazza in abendlicher Beleuchtung. Einheimische Kinder, aus den Ferien zurückgekehrt, spielten Fußball oder jagten einander um den Brunnen. Die abendliche Passeggiata war in vollem Gang, und wahrscheinlich wehte es unsere Musik dort hinüber, wo sie jetzt standen.
    »Tja, das war’s dann«, sagte sie schließlich. »Er hat mich gefunden, also hat er mich wohl verdient.«
    »Er ist ein wirklich reizender Mensch«, sagte Tibor. »Werden Sie jetzt nach Amerika zurückkehren?«

    »In ein paar Tagen. Ja, vermutlich.«
    »Werden Sie ihn heiraten?«
    »Ich glaube schon.« Einen Moment lang sah sie ihn ernst an, dann wandte sie den Blick ab. »Ich glaube schon«, wiederholte sie.
    »Ich wünsche Ihnen viel Glück. Er ist ein netter Mann. Auch ein Musikfreund. Das ist wichtig für Sie.«
    »Ja. Das ist wichtig.«
    »Als Sie sich vorhin umgezogen haben. Unser Gespräch drehte sich nicht um Golf, sondern um Musikunterricht.«
    »Ach, wirklich? Sie meinen, für ihn oder für mich?«
    »Für Sie beide. Allerdings wird es wohl nicht viele Lehrer in Portland, Oregon, geben, die Sie unterrichten können.«
    Sie lachte. »Wie ich schon sagte, Leute wie wir haben’s nicht leicht.«
    »Ja, das verstehe ich. Nach diesen letzten Wochen verstehe ich es besser denn je.« Dann fügte er hinzu: »Miss Eloise, ich muss Ihnen etwas sagen, bevor wir uns verabschieden. Ich reise auch bald ab, nach Amsterdam, wo man mir eine Stelle in einem großen Hotel angeboten hat.«
    »Werden Sie Portier?«
    »Nein. Ich werde in einem kleinen Kammerensemble im Speisesaal des Hotels spielen. Wir unterhalten die Hotelgäste beim Essen.«
    Er beobachtete sie aufmerksam und sah etwas in ihren Augen aufflammen, das aber gleich wieder verlosch. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und lächelte.
    »Na, dann viel Glück.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Diese Hotelgäste. Die ahnen gar nicht, was für ein Genuss sie erwartet.«
    »Hoffentlich.«

    Wieder standen sie schweigend nebeneinander, knapp außerhalb des Lichtscheins aus dem Hotelfoyer, zwischen ihnen der wuchtige Cellokasten.
    »Und hoffentlich«, sagte er, »werden Sie mit Mr Peter sehr glücklich.«
    »Ja, das hoffe ich auch«, sagte sie und lachte wieder. Dann küsste sie ihn auf die Wange und umarmte ihn kurz. »Passen Sie gut auf sich auf«, sagte sie.
    Tibor dankte ihr, und ehe er begriff, was geschah, sah er sie ins Excelsior zurückkehren.

    Kurz darauf verließ Tibor unsere Stadt. Als wir zum letzten Mal mit ihm zusammensaßen und tranken, war er Giancarlo und Ernesto sichtlich sehr dankbar, dass sie ihm diesen Job verschafft hatten, und uns allen dankte er für unsere Freundschaft, trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass er uns gegenüber ein bisschen reserviert war. Diesen Eindruck hatten einige von uns, nicht nur ich, obwohl sich Giancarlo jetzt – typisch für ihn – auf Tibors Seite stellte und sagte, der Junge sei wegen dieser neuen Phase in seinem Leben einfach nur aufgeregt und nervös gewesen.
    »Aufgeregt? Wieso soll er aufgeregt sein?«, fragte Ernesto. »Er hat sich den ganzen Sommer lang anhören dürfen, was er für ein Genie ist. Ein Job in einem Hotel ist doch ein Abstieg. Mit uns zusammensitzen und plaudern ist ebenfalls Abstieg. Als der Sommer anfing, war er ein netter Junge. Aber nach dem, was diese Frau mit ihm angestellt hat, bin ich froh, wenn wir ihn nicht mehr sehen müssen.«
    Wie gesagt, das ist alles schon sieben Jahre her. Giancarlo, Ernesto, alle anderen aus dieser Zeit sind weitergezogen, nur Fabian und ich sind noch da. Bis ich ihn neulich auf der Piazza
sitzen sah, hatte ich lang nicht mehr an unseren ungarischen Maestro gedacht. Er war nicht so schwer zu erkennen. Sicher hatte er zugenommen, gerade um den Hals wirkte er viel dicker. Und die Art, wie er mit dem Finger einen Kellner herbeiwinkte, hatte etwas – vielleicht bilde ich es mir ein -, aber sie hatte etwas von der Ungeduld, der Gedankenlosigkeit, die mit einer bestimmten Form von Verbitterung einhergeht. Aber das mag ungerecht sein. Schließlich sah ich ihn ja nur kurz und aus der Ferne. Trotzdem schien mir, dass seine jugendliche Beflissenheit und diese sorgsamen Manieren, die er damals hatte, von ihm abgefallen waren. Ist vielleicht nicht das Schlechteste, sagen Sie jetzt vielleicht.
    Ich wäre ja hinübergegangen und hätte mit ihm geredet, aber
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