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Begehrter Feind

Begehrter Feind

Titel: Begehrter Feind
Autoren: Catherine Kean
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gerötetes Gesicht, verzerrt zu einer fürchterlichen Grimasse, tauchte in ihrem Kopf auf. An jenem Abend war er wütender und betrunkener denn je gewesen. Gisela dankte bis heute allen Heiligen, dass der schlafende Ewan sicher in seiner Kammer auf der anderen Seite des Hauses gelegen hatte, so dass er das alles nicht mit ansehen musste.
    Wie groß Ryles Zorn sein würde, wenn sie wieder zu ihm zurückgebracht wurde, wagte sie sich nicht einmal vorzustellen.
    O Gott. O Gott!
    Ihre Beine zitterten. Sie drückte sich noch fester an die Wand, tiefer in den dunkelsten Schatten. Zum Stall gab es nur den einen Ein- und Ausgang, so dass sie hier warten müsste, bis ihr Verfolger wieder ging. Und sie musste vollkommen still sein, obwohl der Heugeruch in ihrer Nase kitzelte.
    Und obwohl ein Splitter sie in die rechte Hand stach.
    Und obwohl …
    Als sie eine Hand über ihre Nase hielt, um einen Nieser zu unterdrücken, verdunkelte sich der Stalleingang. Zugleich kamen ruhige feste Schritte näher.
    Er war hier.
    Ihre Anspannung erfüllte sie wie das vibrierende Klingen einer einzelnen Harfensaite, und die Luft im Stall veränderte sich.
    Sie glaubte, seine Entschlossenheit zu spüren.
    Seltsam, aber etwas daran kam ihr vertraut vor.
    Verwirrt bemühte sie sich, keinen Laut von sich zu geben, während sie sich noch fester an die Wand presste. Ihre Hand bewegte sich ein kleines Stück zur Seite und stieß gegen den Holzstiel eines Spatens. Mit einem gewaltigen Lärm kippte der Spaten um.
    O Gott!
    »Gisela?«
    Die tiefe warme Stimme klang kein bisschen bedrohlich, stellte Gisela verwundert fest. Heiliger! Sie hörte sich genau wie Dominics an.
    Bei aller Angst kamen ihr sogleich wunderschöne Erinnerungen an zärtliche Momente im Sonnenschein, an Lachen und vor allem an ihre einzig wahre Liebe. Als er sie zum letzten Mal geküsst hatte, wusste sie, dass sie niemals einen anderen Mann so lieben könnte wie ihn.
    Und nun kämpfte sie mit den Tränen. Durfte sie an ein Wunder glauben? Könnte er es sein?
    Kaum hatte sie diesen Gedanken gefasst, brach sich die brutale Wirklichkeit Bahn. Wie närrisch von ihr, sich vorzustellen, dieser Mann könnte Dominic sein! Er war auf einen Kreuzzug gegangen, hatte gewiss längst den Tod durch ein Sarazenerschwert gefunden, irgendwo im blutigen Wüstensand des Ostens. Und selbst wenn er die Schlachten überlebt hatte, dürfte ihn spätestens die Rückreise auf einem schmutzigen, rattenverseuchten Schiff getötet haben.
    Nein, es konnte unmöglich Dominic sein!
    Die Furcht trübte ihre Sinne.
    Doch woher kannte er ihren Namen? Den benutzte sie in Clovebury nie.
    »Gisela, bist du hier?«, fragte der Mann mit einem Anflug von Verärgerung.
    Heilige Mutter Gottes! Der Stimme nach wollte sie tatsächlich glauben, dass es Dominic war.
    Ein Teil von ihr drängte sie, aus dem Schatten zu treten und ihn anzusehen.
Mein Liebster, bist du’s?
Doch sie ermahnte sich, nur ja nicht leichtsinnig zu sein.
    Er konnte nicht Dominic sein, sagte sie sich. Er war ein Fremder und arbeitete vielleicht für ihren Ehemann.
    Stroh raschelte, Schatten verschoben sich, als der Mann weiter in den Stall hereinkam.
    »Warum antwortest du mir nicht, Gisela? Bist du verletzt?«
    Jeden Moment konnte er an den Heuballen vorbei sein. Dann würde er sie sehen. In ihr regten sich Hoffnung und wachsende Angst zugleich. Während der letzten vier Monate hatte allein ihre Vorsicht Ewan und sie geschützt, umso unverzeihlicher wäre es, würde sie ihrer beider Leben riskieren, indem sie jetzt unvernünftig handelte.
    Auf der Suche nach einem besseren Versteck blickte sie zur gegenüberliegenden Wand. Nichts. Kurz entschlossen nahm sie den Brotlaib unter ihrem Arm hervor, warf ihn auf ein Getreidefass aus Holz und griff sich den umgekippten Spaten.
    Ein Mann erschien vor ihr, dessen zerschlissenes Bettlergewand lose von seinen breiten Schultern hing. Aus der Nähe und aufgerichtet statt auf den Stock gebeugt wirkte er sehr viel größer, als sie erwartet hatte.
    Ein Krieger im Bettlerkostüm.
    Sie duckte sich ein wenig und hielt den Spaten wie eine Lanze vor sich.
    Abrupt blieb er stehen, hob seine Hände, als wollte er sich ergeben, und lachte sogar auf. »Das ist nicht die Begrüßung, die ich mir ausgemalt habe. Aber wenigstens bist du so freundlich, mir den Spaten nicht gleich auf den Kopf zu knallen.«
    Sie sah genauer hin. Braunes Haar wellte sich bis zu den Schultern um ein schönes Gesicht. Im Schatten konnte sie seine
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