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Begehrter Feind

Begehrter Feind

Titel: Begehrter Feind
Autoren: Catherine Kean
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Kapitel 1
    Moydenshire, England Sommer 1194
    J emand beobachtete sie.
    Jemand, der ganz in der Nähe inmitten der Marktmenge sein musste.
    Der Geruch von frisch gebackenem Brot, vom Rauch der Schmiedefeuer und vom getrockneten Lavendel am Stand des Kräuterhändlers bekam plötzlich etwas Erstickendes, als legten sich würgende Finger um Gisela Anne Balewynes Hals. Angst schnürte ihr die Kehle zu, während sie in ihrem Münzbeutel nach einem Stück Silber angelte, um den Laib grobkörnigen Brotes zu bezahlen.
    Bei ihrem kurzen Gang über den Marktplatz hatte sie es beinahe geschafft, die Stimme zu überhören, die sie zur Vorsicht mahnte – jene Stimme, die seit vier Monaten ihr ständiger Begleiter war. Fast hätte sie sogar die Kapuze ihres düsteren Umhangs hinuntergezogen und ihr Haar aus dem festen Lederriemen gelöst, um das Gesicht in den warmen Sonnenschein zu halten. Wie sehr sie sich danach sehnte, die Sonne zu genießen! Könnte sie doch bloß einen Moment lang so tun, als stünde es ihr frei, als wäre sie nicht gezwungen, sich in ihren Umhang zu verhüllen, als wäre es gleich, wer ihr Gesicht sah!
    Vier Monate schon
, verlockte sie ein leises Flüstern.
Vier Monate, und Ryle hat dich nicht gefunden! Wahrscheinlich wird es ihm nie gelingen.
    Trotzdem, trotz all ihrer Vorkehrungen, könnte er es doch noch schaffen.
    Kalter klebriger Schweiß benetzte ihre Handinnenflächen, während ihr Herzschlag in jenen Rhythmus verfiel, der von Monaten beständiger Furcht herrührte. Sie musste ihr Brot bezahlen und dann so schnell wie möglich den Markt verlassen. Sollte das Schicksal es gut mit ihr meinen, könnte sie denjenigen abschütteln, der sie beobachtete, wenn sie an der Menge vorbeiging, die sich um die beiden Tanzbären scharte.
    »Geht es dir gut?«, fragte der Bäcker, ein großer breitschultriger Mann, dessen Frau im letzten Jahr gestorben war. Er beugte sich ein wenig vor und sah sie blinzelnd an. Sofort neigte Gisela den Kopf und gab vor, in ihren Münzbeutel zu sehen.
    »Ja … ja, mir geht es gut. Ich hab’s schon«, antwortete sie mit einem zittrigen Lachen und seufzte unwillkürlich, als ihre glitschigen Finger die richtige Münze zu fassen bekamen.
    Leider fiel sie mit einem melodischen
Pling
wieder zurück in den Beutel.
    »O nein!« Am liebsten hätte sie das Brot, das sie unter den Arm geklemmt hatte, wieder zurück auf den Tisch geworfen und wäre weggelaufen. Aber dieselbe Stimme, die ihr schon so lange folgte, warnte sie vor einer überstürzten Flucht, die lediglich Aufmerksamkeit erregen würde. Und wer immer sie beobachtete, würde spätestens dann begreifen, dass er die Richtige gefunden hätte.
    Vielleicht legten sie es darauf an, sie auf dem Markt zu ergreifen.
    Und sie würden sie zu ihrem Ehemann zurückbringen, wo sie dafür geradestehen müsste, dass sie mitten in der Nacht mit dem kleinen Ewan davongeschlichen war.
    Dann müsste sie für das bezahlen, was sie getan hatte.
    »Versuch ruhig, wegzulaufen, ich werde dich finden!«, hatte Ryle ihr an dem schrecklichen Abend Monate zuvor zugeraunt, während Blut aus einem Schnitt oberhalb ihrer rechten Brust durch ihr Seidenkleid sickerte. Ihr Blut glänzte auf seinem Messer. »Flieh zu deiner Familie, und ich schlitze sie ebenfalls auf! Du kannst niemandem trauen, Gisela, das verspreche ich dir!«
    Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken.
O Gott. O Gott!
    Diesmal würde er sie nicht entkommen lassen.
    Diesmal würde er sie töten.
    Sie zwang sich, die Angst, die sie zu ersticken drohte, hinunterzuschlucken. Hier und jetzt hatte sie gar keine Wahl. Sie musste sich äußerlich gelassen geben, damit sie in wenigen Minuten ihren Verfolger abschütteln konnte.
    Ihre Hand zitterte, als sie erneut in den Beutel griff. Mit aller Kraft rief sie sich zur Ruhe, denn sie brauchte das Brot unbedingt. Die magere Portion Gemüseeintopf würde niemals reichen, um Ewan und sie für den Tag zu sättigen. Sie brauchten nahrhaftes Brot, das sie in die Brühe tunken konnten.
    Gisela biss die Zähne zusammen, als ihre Hand sich um die Münze schloss. Was auch zwischen ihrem Ehemann und ihr vorgefallen sein mochte – ihr kleiner Sohn verdiente nicht, zu hungern!
    »Hier«, sagte sie und ließ die Münze in die Hand des Bäckers fallen.
    »Ich danke dir«, gab er freundlich zurück.
    Ihr verwundetes, geschundenes Herz krampfte sich zusammen, und sie blinzelte heftig, während sie nickte und sich abwandte.
    Da griff seine Hand nach ihrem
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