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Begehrter Feind

Begehrter Feind

Titel: Begehrter Feind
Autoren: Catherine Kean
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der gerade groß genug war, dass ein Pferdewagen dort wenden konnte. Die Taverne selbst war ein zweistöckiges grob verputztes Fachwerkhaus mit durchhängendem Reetdach. Als Dominic nach rechts sah, bemerkte er, dass auch das niedrige Dach des Stalls in der Mitte eingesackt war. Offenbar hatte es im Frühjahr heftige Regenfälle gegeben.
    Er schob seine Kapuze in den Nacken, atmete tief durch und schaute sich im Hof um. Ihm behagte dieser Ort nicht. Könnte sie in die Taverne geflohen sein? Dort war es nicht sicher für eine junge Frau ohne Begleitung. Andererseits dürften die meisten Dorfbewohner auf dem Markt sein, was bedeutete, dass weniger Betrunkene in dem Gasthaus waren, die sie belästigen könnten. Und so eilig, wie sie vor ihm weggelaufen war, wollte sie ihn anscheinend um jeden Preis meiden.
    Seltsam. Warum war sie überhaupt geflohen?
    Hatte sie an einem der Stände etwas gestohlen? Nein, ganz gewiss nicht. Die Gisela, die er kannte, besaß eine durch und durch reine, unbefleckte Seele. Nun ja, er hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen.
    Womöglich hatte sie seine Stimme erkannt, wollte ihn aber nie wieder sprechen. Ja, das könnte gut sein. Nachdenklich rieb er sich die Hände an seinem Mantel ab. Er bedauerte die schmerzliche Trennung damals. Obwohl er Gisela über alles geliebt hatte, konnte er sie nicht heiraten. Das hatte sie gewusst.
    Mit einem Achselzucken verdrängte er seine Reue. Als er bereits auf die Taverne zuschritt, bemerkte er etwas kleines Rundes auf der Erde unweit des Stalls. Er ging hin, bückte sich und hob es vorsichtig auf.
    Ein durchgebrochener Beerenkuchen.
    Der Bäcker hatte Gisela einen seiner Kuchen gegeben.
    Dominic richtete sich wieder auf und sah zur Stalltür. Der Eingang war grau, dahinter alles dunkel, so dass man nichts erkennen konnte. Vielleicht versteckte sie sich dort drinnen.
    Der Kuchen zerbröselte in seiner Hand, und die Krümel rieselten ihm wie grobkörniger Sand durch die Finger – wie die Jahre, die vergangen und sie beide verändert hatten.
    Er warf die Brösel einem Star zu, der ihn aufmerksam vom Tavernendach aus beäugte. Nun hatte er die Wahl: Entweder er ging in den Stall und trat Gisela gegenüber, oder er machte kehrt und ließ die Vergangenheit hinter sich.
    Vor Jahren war er fortgegangen. Und seitdem war Gisela Nacht für Nacht bei ihm, lächelte ihn an, während sie im üppigen Weidengras lag, ihr ausgebreitetes Haar wie ein goldenes Feuer um ihren Kopf leuchtend. Am Handgelenk trug sie ein Armband aus Gänseblümchen, als sie ihm über die Wange, die Lippen bis zur Öffnung seiner Tunika oben strich.
    Bei Gott, er konnte heute nicht wieder fortgehen!
    Er rieb sich mit einer Hand übers Kinn, holte tief Luft und schritt auf den Stall zu.
     
    Gisela drückte sich flach an die Stallrückwand. Durch die Ritzen in der verwitterten Holzwand drang Sonnenlicht herein, das Strahlenspuren auf das Heu in der Mitte warf, auf die Geräte, die an der Seitenwand hingen, sowie auf den leeren Wassertrog in der Nähe. Ein Stück weiter entfernt schnaubte ein Pferd und scharrte mit den Hufen.
    Dann hörte sie Schritte näher kommen, eilige Schritte. Ihr Verfolger kam in den Hof gerannt. Sie wagte kaum zu atmen, als sie sich vorstellte, wie er sich in dem ruhigen leeren Hof umsah und ärgerlich das Gesicht verzog. Sie konnte nur beten, dass er nicht auf die Idee kam, in den Stall zu gehen, sondern sich fluchend wieder auf den Rückweg zum Marktplatz machen würde.
    Doch schon bewegten sich die knirschenden, langsameren Schritte auf den Stall zu, ehe sie verharrten.
    O Gott!
    Die Stille war fast unerträglich. Giselas Puls raste, und ihr Herz hämmerte so wild, dass sie sicher war, jeder könnte es hören. Sie erschauderte und biss sich auf die Lippe. Die klebrigen Reste des Blaubeerkuchens brannten in ihrer Hand, denn auf ihrer panischen Flucht in den Stall hatte sie Ewans Kuchen fallen gelassen. Wo genau, wusste sie nicht mehr.
    Aber ihr Verfolger fand ihn vielleicht gar nicht, beruhigte sie sich. Inzwischen dürfte ihn irgendein hungriges Tier gefressen haben.
    Außerdem war gar nicht sicher, dass er gesehen hatte, wie der Bäcker ihr den Kuchen gab. Also selbst wenn er ihn fand, hatte das nichts zu bedeuten.
    Gar nichts.
    Dennoch plagte sie entsetzliche Angst. Wie Staub, der sich in Monaten angesammelt hatte, um von einem Windzug aufgewirbelt zu werden und sogleich wieder eine dicke Schicht zu bilden, legte sie sich über Gisela.
    Die Erinnerung an Ryles
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