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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Glas war jedoch so verdreckt, dass man nicht durch die Scheiben in den Laden sehen konnte. Und mit verblasster Farbe stand auf der Ziegelsteinmauer über der klobigen, doppelflügeligen Tür: Eleanor Greeley - Shirtmaker.
    »Okay, dann viel Glück bei der fetten, alten Hexe und ihrem glubschäugigen Mann«, sagte Daniel leise und hielt ihr die Tür auf.
    »Willst du denn nicht warten?«, fragte Becky überrascht. »Ich muss doch gleich wieder neue Stoffe mitnehmen und könnte deine Hilfe beim Tragen schon ganz gut gebrauchen.«
    »Tut mir Leid, Becky, aber ich muss jetzt los... und mir was einfallen lassen. Du hast ja gehört, was Vater mir hinterhergebrüllt hat.« Er brachte ein schiefes Grinsen zustande. »Ohne zwei Bettlaken brauche ich mich zu Hause nicht mehr blicken zu lassen.«
    »Daniel, mach bloß keine Dummheiten!«, beschwor Becky ihn. »Das hat er doch nur in seiner Wut gesagt! Natürlich kannst du auch so jederzeit nach Hause kommen!«
    »Nein, kann ich nicht! Es ist ihm ernst damit und er vergisst so etwas auch nicht. Nicht einmal wenn er besoffen ist!«, widersprach ihr Bruder. »Ich habe mich selbst hineingeritten, und jetzt muss ich eben sehen, wie ich da wieder herauskomme. Aber keine Sorge, mir wird schon was einfallen.« Und bevor er davonlief, fügte er noch trotzig und mit spürbar tief verletztem Stolz hinzu: »Der Vater soll nicht noch einmal sagen, ich tauge zu nichts!«
    »Daniel, du bist doch erst acht! Heilige Muttergottes, warte und lass uns reden!«, rief Becky, doch ihr Bruder reagierte nicht auf ihren Zuruf und verschwand im nächsten Augenblick auch schon im Tordurchgang.

6
    B ECKY überlegte, ob sie ihr Paket absetzen und ihrem Bruder nachlaufen sollte, als ihr Homer Greeley aus dem Innern des Geschäftes mit ungeduldiger, kratziger Stimme zurief: »Herr im Himmel, komm endlich herein oder bleib draußen, aber mach gefälligst die Tür wieder zu! Es reicht ja wohl, dass ihr uns jede Menge Läuse in den Laden schleppt! Da braucht ihr nicht auch noch alle Fliegen aus dem Hof mitzubringen!«
    So bärbeißig und missgestimmt Homer Greeley sie auch empfing, so dankbar war Becky doch an diesem Tag dafür, dass sie es mit ihm und nicht mit seiner Frau Eleanor zu tun hatte. Denn mit Homer, einem hageren Mann von vielleicht fünfundfünfzig Jahren mit einer Halbglatze über einer hohen Stirn und froschähnlichen Glubschaugen hinter den dicken Gläsern eines Kneifers, hatte man als Näherin entschieden weniger Schwierigkeiten als mit seiner matronenhaften und scharfzüngigen Ehefrau. Lieferte man ordentliche Arbeit ab, zog er selten einmal etwas von dem ausgemachten Lohn ab.
    Ganz im Gegensatz zu Eleanor, die ihre Willkür mit spürbarer Lust ausübte. Sie liebte es, ihre Macht auszukosten und andere zu demütigen. So auch an diesem Nachmittag. Sie putzte gerade eine junge, spindeldürre Frau herunter, die sich offensichtlich von ihr hatte beschwatzen lassen, Kissenbezüge mit feinem Spitzenbesatz zu nähen. Wie Becky aus den stammelnden Worten der armen Frau heraushörte, hatte sie die Arbeit in dem Glauben angenommen, dafür besser als für Hemden bezahlt zu werden. Und nun war ihr Erschrecken groß, als sie hörte, dass sie viel weniger erhielt, als sie erwartet hatte.
    »Nur drei Shilling für all die Arbeit? Aber wie soll ich denn meine Familie davon ernähren? Ich habe vier kleine Kinder!«, klagte die Frau mit tränenerstickter Stimme, während Homer Becky den Lohn für neunundzwanzig Hemden auszahlte, ohne ihr auch nur einen Cent abzuziehen. Und sie hatte den Eindruck, dass er es damit ganz besonders eilig hatte, als wollte er vermeiden, dass seine Frau Zeit fand, die Hemden noch einmal selbst zu inspizieren. Der Textilhandel gehörte ihr, und das ließ sie ihren Mann auch immer wieder spüren, sogar vor ihren Heimarbeiterinnen.
    »Was habe ich mit deinen Kindern zu schaffen? Habe ich sie dir vielleicht gemacht?«, fuhr Eleanor die Frau empört an. »Damit kannst du mir nicht kommen! Diese Jammergeschichten höre ich jeden Tag im Dutzend! Ich zahle, was eine Arbeit wert ist und keinen Cent mehr! Milde Gaben kannst du dir woanders erbetteln! Du bist hier nicht bei der Mission oder der Suppenküche der Quäker, meine Liebe! Ich führe ein Geschäft und muss mir sowieso schon dauernd sagen lassen, wie unverantwortlich großzügig ich meine Näherinnen bezahle!«
    Becky musste an sich halten, um dieser hartherzigen, selbstgerechten Geschäftsinhaberin nicht die passende Antwort zu
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