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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna
Autoren: Sandberg
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Auto
zerbricht in zwei Hälften, Dominika fliegt durch die Windschutzscheibe und
landet in dem Wasser, das dunkel und zähflüssig ist wie Schmieröl. Ihre unglaublichen
Haare, diese wilden Haare, dämpfen den Aufprall, doch ein scharfer Splitter
schneidet tief in ihre Wange, von der Schläfe bis zur Mundecke. Es wird ganz
still, doch die von den Autoscheinwerfern zerrissene Finsternis kehrt nicht
wieder ein, denn das in den Resten des Stegs festgeklemmte Wrack des kleinen
Fiats geht mit einem Knall des explodierenden Benzintanks in Flammen auf. Im
Kleinen See der Spinnennixe ist die Explosion nur das dumpfe Ploppen einer
geöffneten Champagnerflasche, das über die Wasserfläche gleitende Feuer ist ein
Feuerwerk, glühendes Konfetti, unter dem Dominika auf den Grund sinkt. Sie hat
die Augen offen und sieht einen schwarzen Wolga, weiße Knochen, Schwärme von
Neonfischen, den Ring mit dem Rubin, der aus ihrer Jeanstasche gefallen ist,
sie sieht zwei Nonnen, die ihr einladend aus dem Wolga winken, ihr die Hände
entgegenstrecken, weiße Knochen. Sie versucht Luft zu holen, weshalb ist das
Atmen so schwer, sie hustet, sieht weiße Treppenstufen wie aus Knochen, die
direkt ans Meer führen, sie sind schön, und plötzlich erinnert ihr Körper sich
daran, dass er schwimmen kann. Er stößt sich vom Boden ab, von der weißen
Treppenstufe, steigt auf in Richtung des Feuers, dessen Schein sich über den
See der Spinnennixe breitet.
     
    Z weiter
Anfang
     
    Als Dominika
kam, um ihre Mutter abzuholen, hatte der Babel ausgedient. Ein Koloss auf einem
Fundament aus Sand, dessen Umriss sich noch immer scharf wie ausgestochen vom
Himmel abhob, der jedoch von unten aufweichte. Die unter der Stadt verlaufenden
Bergwerksstollen waren geflutet, der Hügel verrottete und sank ein wie
plattgetrampelt.
    Wie konnten sie
uns das antun, murrten die Bewohner des Babel. Früher haben wir auf dem Babel
gewohnt, wie in der BeErDe. Alles haben wir gehabt, man brauchte nur ein
bisschen zu spekulieren. Eher musste man aufpassen, dass man nicht zu viel
gegessen und getrunken hat. Und wenn einer im Bergbau war, hoho, dem ging es
gut. Solange es den Bergbau gab. Berechtigungsscheine für Autos, Urlaub, Läden
für Leute mit der Karte B wie Bergmann. Der Bergmann war König. Hatte Uniform,
Federbusch, Ehre. Die Balkone vom Babel sind gelb, rosa, hellgrün angestrichen
und vollgestopft mit Sachen, die zum Wegwerfen zu schade sind wie
Einmachgläser, Schränkchen, alte Skier mit Spitzen, die sich auffächern wie
Blätterteig, Schwalbenscheuchen flattern an den Geländern, und die Leute stehen
da und blicken zu der steigenden Horizontlinie. Sie warten. Auf dem vierten
Stock hat die Lepka den Busen auf die Balustrade gebettet und unbeweglich wie
eine Karyatide, nicht wegzukriegen von dem Ort, der ihr gehört und den niemand
anders will, wartet sie auf ihren Sohn. Obergefreiter Zbyszek Lepki, offiziell
nach einem Kopfschuss für tot erklärt, kehrt ja vielleicht doch noch aus dem
Jugoslawien zurück, das es nicht mehr gibt, lebendig und undurchlöchert, und
das nennt man dann ein Wunder. Krystyna und Zdzislaw Sledz mit der Enkelin, die
ihnen kurzfristig - inzwischen allerdings schon ein gutes Dutzend Jahre lang -
zur Obhut anvertraut wurde, halten Ausschau nach ihrer Tochter Iwona. Sie hatte
versprochen, dass sie zum Mittagessen vorbeikommt, wenn sie mit dem
Haareschneiden und Aufdrehen fertig wird, und wenn nicht, dann kommt sie
trotzdem vorbei, und sie sitzen wenigstens ein bisschen zusammen. Hinter der
Wand seufzt Jadzia, was sie angeht, sie wartet auf gar nichts mehr und wird in
diesem verschissenen Storchennest bald durchknallen, denn außer Krampfadern
hat sie im Leben nichts zustande gebracht.
    Obwohl niemand
anwesend war, der ihre wahren Gefühle hätte sehen können, hob Jadzia mit einem
gespielten Seufzer der Ungeduld den Hörer des zu guter Letzt doch
angeschlossenen Telefons ab, weil sie die Stimme ihrer Tochter hören will.
Immer wieder verwundert, dass sie Dominika aus fernen Ländern so gut und
deutlich hört, als wäre sie nebenan, schrie sie in den Hörer, weil sie nicht
glauben konnte, dass dieses Wunder in beide Richtungen wirkte. Seitdem Dominika
mit Hilfe von Grazynka Kalthöffer de domo Rozpuch vor fünfzehn Jahren in ein
deutsches Krankenhaus gebracht wurde, ist sie immer nur für kurze Zeit nach
Piaskowa Göra zurückgekehrt. Meistens kam sie im Frühling angeflattert wie eine
Schwalbe, und viel mehr kriegte Jadzia nicht von ihr
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