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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna
Autoren: Sandberg
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nie einen Hut gehabt haben. So
ein Hut, das ist eine Verspottung anderer, ein Auf-sie-Herabschauen. Ein
Fremder ist er, doch er geht wie über sein eigenes Land, und mit einer
Selbstverständlichkeit, als wäre er erst gestern hier entlangspaziert. Als
wären noch die Abdrücke seiner Füße da, dabei ist fast ein halbes Jahrhundert
vergangen.
    Janek Kos
wartete ein wenig ab, dann machte er sich im Schutz des Schattens auf, Ignacy
hinterher. Nervös rieb er mit dem Fingerknöchel über die Narbe in seinem
Gesicht. Er war dabei, als das Gartentor quietschte, das Licht auf der Veranda
anging, als Zofia aus der Tür trat und in dem goldenen Viereck der Tür ein paar
Sekunden still vor Ignacy stand. In ihrem hellblauen Kleid, als ginge sie zur Osterweihe,
was hätte er darum gegeben, dass sie für ihn und nicht für den Fremden in dem
blauen Kleid aus der Tür getreten wäre. Als sich die Dunkelheit auf den Garten
senkte, schlich Janek Kos durch das offene Gartentor und hockte sich ins
Dickicht des Phloxes unter das Fenster. Durch das angelehnte Fenster verstand
er nicht genau, was sie redeten, und das, was er nicht hören konnte, erfüllte
ihn mit Hass. Er hatte die Schlinge um Maniek Gorgöls Hals gelegt, er hatte
Würste und Kalbsnacken gebracht, bis nach Brzezina war er frühmorgens um vier
gelaufen, um die schönsten Steinpilze für sie zu finden, und immer hatte er die
Schuhe geputzt, bevor er zu ihr ging. Und der da, der nie etwas für sie getan
hatte, konnte einfach so reingehen, mit Hut und Stöckchen wie ein Herr. Über
vierzig Jahre war er nicht hier gewesen, und jetzt marschiert er dort hinein,
als hätte er das Haus eben erst verlassen. Kazimierz Maslak hatte recht gehabt,
da kommen sie mit ihren Ansprüchen, als gehörte ihnen die Welt, die Koffer
haben sie voller Gold und tun so, als hätte man ihnen das Haus abgebrannt,
ihnen alles weggenommen, sie zu Lampenschirmen gemacht. Lügen! Eine
Verschwörung ist das!
    Über Janek Kos'
Kopf bewegt sich plötzlich etwas, Zofias oblatenweiße Hand zieht den
Fensterladen zu und verriegelt ihn. Was für eine Stille ringsum. Nur in der Ferne
irgendwo bellt ein Hund, ein Insekt, das aufgewacht ist, summt in den dichten
Blumen. Ausgesperrt haben sie ihn, im Dunkel stehen gelassen, keine Dankbarkeit
für all die Jahre mit Wurst, Pilzen, Kalbsbrust. Sie verachten ihn. Wegen
seines vergeudeten Lebens, des undichten Dachs, des Kartoffelkäfers, der ihm
wieder die Kartoffeln wegfrisst, das dritte Jahr schon an einem Stück, wegen
seiner Kinderlähmung, der Narbe, der Tränen, die jetzt fließen und für die es
keine Linderung gibt.
    Hätte Janek Kos
mit seinen Blicken die von Borkenkäfern angefressene Holzwand durchdringen
können, hätte er gesehen, dass Zofia und Ignacy einander gegenüber saßen wie
in jener ersten Nacht, sie auf dem Schemel, er auf dem schmalen Bett. Über dem
Bett hängt der Christus so wie damals und ein Foto von Dominika im Kommunionkleid,
das damals noch nicht dort hing. Er hätte gesehen, wie ein weißhaariger Mann in
großen Zügen Milch aus einem Becher trank und die Frau ihm zuschaute, als
stillte diese Milch den Durst, der seit fast einem halben Jahrhundert in ihr
brannte. Zofia steht auf und nimmt Ignacy an der Hand, sie legen sich auf das
schmale Küchenbett, auf dem Zofia all die Jahre geschlafen hat. Den Tisch, auf
dem Maniek Gorgöl sie vergewaltigte, hat sie in Stücke gesägt, leider kann sie
nicht die Abneigung, die sie wegen Maniek Gorgöl für ihr eigenes Kind empfand,
genauso zersägen. Was Ignacy ihr gab, war wie ein Geschenk, das zu lange im
Verborgenen gelegen hatte, um aufzuwiegen, was der andere ihr weggenommen
hatte, aber sie würde versuchen, das Verlorene aufzuholen. Wie so ein
Olivenbäumchen wohl aussah? Wie ein Apfelbaum? Oder ein Birnbaum? Morgen will
sie Ignacy fragen, er wird es wissen. Das gestärkte Bettzeug knistert wie
Sand, als sie sich hinlegen, es ist warm, tief und weich sinken sie hinein. Das
Bett ist wirklich schmal, der Strohsack mit Stroh gefüllt, am Fußende ein
Wandbehang mit den aufgestickten Worten: Morgenstund hat Gold im Mund. In den Schränken
knabbern Mäuse an den Kaninchenfellen, die Kleider verschwinden in den
durchsichtigen Mäulchen der Motten, lautlos blättert der Putz von der Wand,
Modriges wirbelt in winzigen Fetzchen durch die Luft. In dem Spiegel im Flur
erscheint eine Gestalt, an die Zofia sich gewöhnt hat, früher hielt sie es für
ihr eigenes Spiegelbild, aber jetzt, da ihre Augen
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