Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna
Autoren: Sandberg
Vom Netzwerk:
nicht mehr so scharf sehen,
ist sie sich nicht mehr ganz sicher - vielleicht ist es ihre Mutter Jadwiga,
vielleicht ihre Tochter Jadzia, manchmal kommt es ihr vor, als sehe sie ihre
Enkelin, aber älter, ernster, und eine Hälfte ihres Gesichts im Dunkel. Jetzt
schaut sich die Gestalt um, als suche sie jemanden, und ihr Mund formt ein
Wort, das unausgesprochen bleibt, die sonst grünliche Oberfläche des Spiegels
verfärbt sich rot, glüht auf, und das Bild verschwindet. Zofia riecht nach
saurer Suppe mit Zwiebel und nach Matthiolen, obwohl sie zu diesem besonderen
Anlass die Haare mit dem neuen Palmolive-Shampoo gewaschen hat.
    Gebückt und
sein krankes Bein hinter sich herziehend, humpelt Janek Kos durch das Dorf so
schnell er kann. Es ist eine trockene, heiße Nacht, Rauch steigt von dem mit
Herdasche bestreuten Weg, die Fenster der Häuser, an denen er vorbeigeht, sind
schon dunkel. Ignacy schläft zuerst ein, er träumt von dem Apfel, den Zofia ihm
vor fast einem halben Jahrhundert auf den Dachboden gebracht hat. Janek Kos
stolpert in seinen Hof und versetzt dem Hund einen Tritt. Er öffnet die Tür und
tastet nach der angebrochenen Flasche Wodka, trinkt in großen Schlucken
daraus. Dann greift er unter den Tisch, wo zwischen Pappschachteln, Lumpen und
schimmligen Brotrinden der Benzinkanister steht.
     
    ***
     
    Jagienka Pasiak
kann nicht begreifen, wie es geschehen konnte, dass die Kommission der Aufnahmeprüfung
für Polonistik an der Universität Breslau ihre Außergewöhnlichkeit nicht
erkannt hat. Sie ist durchgefallen. Lauter Homo-dingsbums und neidische alte
Jungfern in unmodischen Schuhen saßen in der Prüfungskommission. Andererseits
— vielleicht wäre so ein Studium gar nichts für sie gewesen. Alle großen
Gestalten hatten es am Anfang schwer. Sie waren unverstanden, weil sie ihren
Zeitgenossen so weit voraus waren. Herbert zum Beispiel - oder war es Milosz? -
hatte in einer Torfstecherei gearbeitet. Marylin Monroe war Halbwaise und hatte
einen schiefen Biss, bevor sie entdeckt und begradigt wurde.
    Vorläufig
jedoch hatte der Vater Jagienka eine Stelle bei einem Bekannten verschafft,
einem Prothesentechniker, dort würde sie ein Praktikum machen und nebenbei im
Fernstudium Medizin, denn ein Papier muss man haben, sie wird es ihm noch
danken, sie wird noch begreifen, was im Leben zählt, denn was die Leute
brauchen, sind falsche Zähne und nicht Gedichte. Jagienkas Widerstand zerbricht
wie ein ausgeblasenes Ei, solange sie ihre Füße unter den Tisch von Kommandant
Pasiak streckt, ist sie nicht zu alt, um auf Trockenerbsen zu knien oder mit
der Rasierklinge Zahnstein entfernt zu bekommen. Sie geht jetzt mit Jacek
Bylihski, einem angehenden Polizisten und Untergebenen ihres Vaters, dessen
Segen er hat, ihre Schnurrbarte sind ähnlich, und sie tragen den gleichen
Knüppel. Mit Zbyszek Lepki lacht Jagienka über Jacek Bylihski und deutet mit
der ihr eigenen Subtilität an, dass er rasend eifersüchtig sein müsste, doch
Zbyszek bemerkt dazu nur, er hätte jetzt gern Grillhähnchen, lieber Schenkel
als Brust, mit Fritten und Ketchup. Jagienka trifft sich mit Edyta Kowalik und
Irena Chloryk, die so deutlich weniger haben als sie, dass Jagienka eine halbe
Stunde lang im seichten Tümpel ihrer Schlagfertigkeit und witzigen Beobachtungsgabe
plantschen kann. Sie erzählt den beiden all das, was ihr geschehen sollte, als
wäre ihre herrliche Zukunft ein auf eigenen Wunsch verschobener
Picknickausflug. Sie wiederholt Zbyszeks Worte und erzählr von Dingen, die sie
gerne hätte, als wären sie wirklich passiert. Sie streicht sich die Haare aus
der Stirn, ihre Lippen glänzen wie eine aufgeplatzte Kirsche, sie lacht, als
Edyta sagt, du bist ja vielleicht durchgeknallt. Sie trinken süßen Wein und Kirschwodka
und rauchen Carmen-Zigaretten, nach denen der saure Speichel schäumt wie
Seifenlauge, sie fahren in dem kleinen Fiat durch Walbrzych und überlegen sich,
was Hochwürden Postronek wohl machen wird, um Adas und Dominika zu trennen.
Edyta und Irena bewundern Jagienkas Einfallsreichtum, ihren Mut. Sie trinken
auf dem ehemaligen deutschen Friedhof in dem Dorf Dziecmorowice bei Walbrzych,
und Jagienka tanzt auf einem eingesunkenen Grab, zieht faulige Blumen aus den
steinernen Vasen und sagt, sie sei Ophelia. Wo bist du Hamlet? In einem Grab
auf dem evangelischen Friedhof finden sie einen halb mumifizierten Rumpf ohne
Kopf, der die Hände auf der Brust gekreuzt hat und aussieht wie eine schlafende
Fledermaus.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher