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Bator, Joanna

Bator, Joanna

Titel: Bator, Joanna
Autoren: Sandberg
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Zofia sagt immer, dass alles, was
lebt, aus Totem erwachsen ist, und sie essen diese sonnendurchwärmten
Himbeeren. Adas und sie werden Himbeeren zum Frühstück essen. Sie werden sie
pflücken und der Oma und dem Großvater mitbringen. Der Wind ist stärker als am
Morgen und zaust Dominikas Haare. Adas hat ihr dichtes Haar so gern. Ist er
das? Ist das sein Arm, den sie dort am Rand der Haltestelle herausragen sieht?
Nein. Es ist ein fremder Arm, fremd wie sein stämmiger Besitzer, dessen Augen von
Kohlenstaub umrahmt sind.
    Dominika
überläuft ein Schauer, irgendetwas an diesem Irrtum beunruhigt sie. Der
Autobus kommt, fährt weiter. Sie bleibt allein an der Haltestelle. Vielleicht
sollte sie zur Telefonzelle laufen und anrufen, aber was, wenn Adas genau dann
auftaucht und meint, sie wäre nicht da, sie hätte es sich anders überlegt?
Immer noch keine Spur von ihm. Sie hat die Fahrkarten, die Käsebrote für zwei,
eine genaue Vorstellung von dem Wiedersehen mit Oma Zofia und der Begegnung mit
dem Großvater Ignacy, und ganz unten im Rucksack liegt das Warschauer Leben,
auch für zwei Personen gedacht, plus Malgosia, die zu Besuch kommt, weil sie in
der Nähe wohnen wird. Was soll aus alledem werden, wenn Adas nicht kommt? Die
Zeit vergeht, der nächste Autobus fährt davon. Sie hätte einsteigen sollen.
Das war schlecht, dass sie nicht eingestiegen ist. Dumm. Vielleicht ist Adas
aufgehalten worden, und er ist mit dem Taxi direkt zum Bahnhof gefahren. Der
nächste Autobus kommt erst in einer Viertelstunde, es ist schon fast zehn Uhr
abends, sie hat noch siebenundzwanzig Minuten bis zur Abfahrt. Sie wird den
Zug verpassen. Was jetzt?
    Dominika! Am
Steuer des kleinen türkisgrünen Fiat sitzt Jagienka Pasiak, sie lehnt sich über
den Beifahrersitz und öffnet die Tür. Steig ein, wir bringen dich zum Bahnhof,
er wartet dort, komm schnell! Iwona hatte Dominika erzählt, dass Jagienka ganz
anders geworden war, offenbar hatte sie recht. War das möglich? Den Rucksack
auf den Rücksitz, schnell, schnell, die Türen schlagen, das Auto setzt sich in
Bewegung, und die Fragen — warum du, woher weißt du - bleiben ungesagt.
Jagienka wendet das Gesicht ihrer Beifahrerin zu, sie singt Reiß der Gitter Zähne aus den Mauern, Jagienkas Gesicht ist geschwollen, das Zahnfleisch sieht aus wie rohes
Fleisch, und Dominika weiß sofort, dass sie einen Fehler gemacht hat.
     
    Janek Kos
bewegt sich lautlos. Er gießt Benzin zwischen die Phloxe, Malven und
Matthiolen, deren Duft in dieser Nacht stärker ist als sonst. Das Benzin
sickert in die modrigen Wände von Zofias Haus, es rinnt hinein durch die
Ritzen, die seit Jahren niemand gestopft hat, die regenbogenfarbenen
gespaltenen Zungen lecken am Boden, kosten den Geschmack der alten Möbel, der
Schubladen voll mit Kaninchenfellen, der beiden alten Leute, die auf dem
Küchensofa schlafen und einen der schönsten Träume ihres Lebens träumen. Ein
einziges Streichholz reicht. Keiner der Jungs im Wald konnte so gut ein Feuer
anzünden wie Janek Kos, der im Licht der Flammen steht und sich erst vom Fleck
rührt, als das Feuer ihm entgegenschlägt. Als das Dach von Zofias Zalesier Haus
einsackt, als wäre es aus Pappe, durchbricht in Piaskowa Göra der kleine Fiat
die Absperrung mit der Aufschrift »Unbefugten Zutritt verboten« und rutscht
über die Böschung in den See der Spinnennixe, der aufblitzt, ein schwarzes,
lebloses Auge.
     
    Dominika
schreit: Halt an!, Edyta erbricht sich auf dem Rücksitz, und Jagienka singt: Reißt der Gitter Zähne aus den Mauern. Der Gitter Zähne, ihre Zähne, der Zähne Klingen, brich entzwei. Nur jemand
ganz Besonderes konnte so verrückt sein und so singen, doch dieser Jemand ist
jetzt ihrer Kontrolle entwischt.
    Zum Bahnhof
Walbrzych Stadt biegt man nach rechts ab, aber nicht bei fast hundert
Stundenkilometern, doch Jagienka fährt gar nicht zum Bahnhof, heute fährt niemand
zum Bahnhof, und die Mauern stürzen ein, es stürzen die Mauern und begraben
die alte Welt. Das Aufprallen auf den Zaun tut nicht weh, nur die Stoßstange
ist abgefallen und die Windschutzscheibe splittert, aber das Auto rollt immer
schneller aufs Wasser zu, direkt auf den Steg, über den es krachend schlittert.
Es prallt gegen die Reste des eisernen Turms am Ende des Stegs, auf den einst
Dominika mit Dimitri geklettert ist, und einen kurzen Augenblick lang taucht
auch Dimitri in ihrer Erinnerung auf, ein schwarzhaariger Junge mit einem
Tornister voll Rachatlukum.
    Das
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