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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit
Autoren: Heinrich Steinfest
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Schlachtfeld oder eingedenk einer Ehekrise. Aber Krise war für Cheng in diesem Moment ein fernes Land.
    Am gleichen Abend wurde das kleine Gefäß mit abgekochtem Wiener Leitungswasser gefüllt, darin sieben Millilitereinheiten griechischen Meersalzes verrührt und mittels eines überaus schmalen Stäbchens vier Spatelspitzen der getrockneten Salzkrebschen-Eier in das Wasser befördert. Sodann platzierte Lena das kleine Aquarium auf einem vom Tageslicht begünstigten Fensterbrett und sprach ein kleines Gebet. Das tat sie hin und wieder, obwohl auch sie lieber in den Drogeriemarkt ging als mit ihrer Mutter in die Synagoge.
    Tatsächlich begann am dritten Tag nach der Instandsetzung dieses mittels einer papierenen Abdeckung vor dem bekanntermaßen gefährlichen Hausstaub abgeschirmten Beckens das Leben zu erwachen. So wie die Anleitung versprochen hatte, zuckte es im Wasser. Das waren noch keine Krebstiere, sondern Larven, die sich in derselben raschen, ja hektischen Weise bewegten, wie man das auch von menschlichen Kindern kannte, die mit hochgerecktem Hals sich durchs Wasser schaufeln, ständig den nächsten Beckenrand im Blick. Nun, ein solcher Beckenrand existierte zwar auch hier, war aber unerreichbar, so daß die Naupliuslarven sich wie in einem Zustand andauernden Untergehens und andauernder Panik durch ein Element kämpften, das nicht das ihre schien. Und auch so könnte man die nun nach und nach eintretende Metamorphose verstehen, daß sich nämlich die in einer latenten Not befindlichen Nauplien in herrschaftliche, souveräne, den Zustand fortwährenden Ertrinkens als Lebenselixier begreifende Salinenkrebse verwandelten. Wozu es aber nötig war, alle zwei Wochen sparsam nachzufüttern, durch regelmäßiges Umrühren die Zufuhr von Sauerstoff zu garantieren, nicht nur das verdunstete Wasser nachzufüllen, sondern auch den Salzgehalt stabil zu halten, ja ihn zu erhöhen, um den Einfall vom Schimmelpilzen abzuwehren und zugleich den Tierchen eine attraktive rote Färbung, eine kardinalische Note zu verleihen.
    Natürlich vollzog auch das Wasser eine Metamorphose, kehrte praktisch in seinen Urzustand zurück, wechselte den Status abgekochter Klarheit mit dem einer von Algenbewuchs und damit eigener Sauerstoffgewinnung geprägten teilweisen Selbständigkeit. Ein Teich war entstanden, ein Biotop − ein Pessimist würde sagen: ein Pfuhl. In diesem Pfuhl und im Licht eines feinen grünlichen Schleiers tauschten die Tierchen nun ihre Gestalt, entwickelten eine lange Schwanzgabel, fügten dem einen Naupliusauge zwei weitere an, zudem rippenförmige Ruderbeine, ja, bildeten einen Körper heran, der sich auch wirklich zum Schwimmen eignete und mit dem sie elegant – auf eine zahnradartige Weise elegant – durch das Wasser drifteten, geradeso, als würden verschiedene Ströme dieses stehende Gewässer in verschlungene, aber feststehende Bahnen unterteilen. Ihre Schwimmbeine fungierten zusätzlich als Nahrungszuträger und Kiemen, so daß sich aus der ständigen Bewegung ein abgerundeter Haushalt ergab, welcher deutlicher als sonst das Prinzip eines jeden Lebewesens darstellte: nämlich eine Fabrik zu sein. Hier war die Fabrik durchsichtig, der Arbeitsprozeß offenkundig wie selten. Natur als Industrie. Und das wohl wesentlichste Kennzeichen der Industrie ist das Fehlen echter Pausen, echter Besinnung. Ja, so hübsch und perfekt diese Tiere anmuteten, eben auch besinnungslos. Wenngleich nicht ohne Verstand, soweit man das sagen darf. Ein Verstand ohne Seele, ein Industrieverstand, der sein Heil in der reinen Produktion sucht.
    In den ersten Wochen der Aufzucht und Pflege war Lena mit einigem Engagement bei der Sache. Sie fand die Nauplien »süß«. Im Falle der adulten Krebse hingegen war ihre Bewertung eindeutig negativ. Obgleich sie ansonsten überhaupt nicht heikel war, problemlos eine Schnecke oder einen Regenwurm anfassen konnte, empfand sie angesichts der ausgewachsenen Exemplare einen Ekel, der sie davon abhielt, sich länger mit der Sache zu beschäftigen. Nicht, daß sie meinte, man sollte darauf verzichten, weiterhin in dem Gefäß herumzurühren oder mittels einer Pipette Luft zuzupumpen. Aber sie war der Ansicht, daß diese Aufgabe Cheng zukam. Er hatte diese Tiere ausgesucht, also sollte er auch ihre Pflege übernehmen. Sie sagte es ganz klar: »Ich wollte einen Labrador und habe ihn nicht bekommen. Ein Labrador hätte zu mir gepaßt. Die Krebse nicht.«
    Da hatte sie schon recht. Zudem fühlte sich
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