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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit
Autoren: Heinrich Steinfest
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im Zuge einer Nervosität oder Aufgeregtheit in den Worten zu verfangen, wie Kinder manchmal reden, wenn die Gedanken ihnen davoneilen. Doch es wurde schlimmer, und bald konnte er keinen Satz mehr sprechen, ohne mühselig und verzweifelt über die Schranke zu steigen, die sich in seinem Mund gebildet hatte. Eine verknotete Zunge als Resultat einer verknoteten Seele. Woraus sich in der Folge jene Lösung ergab, die sich einem jeden Stotterer unweigerlich aufdrängt: nämlich den Mund zu halten.
    Es versteht sich, daß ihn seine Eltern zu diversen Ärzten brachten, denen alle möglichen Ursachen in den Sinn kamen, schließlich ist die Stotterei ein Eldorado freier Interpretation. Ärzte, die ihrerseits nicht ohne Amüsement den berühmten Namen des Kindes feststellten, ohne jedoch einen Bezug zu dessen verbaler Irritation herzustellen. Statt dessen übten sie sich im Kaffeesatzlesen. Ernests Eltern wiederum reagierten alsbald mit unterdrückter bis offener Aggression gegen ihren Jungen, weil sie sein Stottern als ein für alle sicht- beziehungsweise hörbares, beziehungsweise ab einem bestimmten Moment eben nicht mehr hörbares, dafür um so markanteres Zeichen des eigenen Scheiterns begriffen. Etwas, das sie als eine Ungerechtigkeit empfanden, als eine Bösartigkeit ihres Sohnes, dem sie doch mit so viel Liebe und Zuneigung begegnet waren. Nur leider nicht der Liebe, die darin besteht, einem Kind einen vernünftigen Namen zu geben.
    Doch Rettung nahte. Und die Rettung hieß Europa. So heißt ja nicht nur einer der Monde des Planeten Jupiter, sondern auch das zerfranste Fünftel einer Landmasse auf der Erde. Ernests Vater wurde von seiner Firma nach Deutschland entsendet, um dort eine Zweigstelle aufzubauen. In Hamburg. Auf diese Weise kam der seit einem Jahr stotternde, zuletzt aber kaum noch aus seiner Verstummung herauszulockende Elfjährige in eine Stadt, die er sofort liebte, vor allem, wie man hier redete. Ohne, daß er vorerst ein einziges Wort verstanden hätte. Er war ja soeben noch mit dem Schweigen in Englisch beschäftigt gewesen. Aber die neue Sprache klang so schön, sie roch so gut, sie schmeckte so gut, und vor allem war sie fremd. Das war das Beste an ihr. Daß kein Mensch hier Ernest hieß und auch niemand von einem Ernest redete, sondern, wenn schon, dann von einem Ernst, und das mag nun zwar die deutsche Urform sein, klingt aber völlig anders, überhaupt nicht nach Safari und ähnlichem Unfug.
    Ernest beschloß, ein Ernst zu werden. Weshalb er begann, die neue Sprache zu erlernen, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die seine Eltern und jedermann verblüffte. Vor allem aber, daß er nicht mehr stotterte, so daß man hätte meinen können, er sei geheilt. Aber er war nicht geheilt, nicht auf Englisch, sondern nur auf Deutsch.
    Nach einem Jahr war er so gut darin, um von der Sprachschule, auf die er gegangen war, in ein konventionelles Gymnasium zu wechseln. Die Versuche seiner Eltern, ihn in eine internationale, bilinguale Schule zu schicken, hatte er mit dem sofortigen Rückfall in sein altes Schweigen beantwortet, so daß man rasch von dieser Idee wieder abgekommen war. Auch von der Idee, den eigenen Sohn davon abhalten zu wollen, sich den Vornamen Ernst zu geben. Er setzte sich durch, so daß er von nun an also Ernst Hemingway hieß. – Man mag nun einwenden, daß es doch viel effizienter gewesen wäre, hätte er gleich einen völlig anderen Vornamen angenommen, doch möglicherweise war es gerade diese feine Abstufung, die so stark wirkte, stärker als die dramatische Flucht in Namen wie Daniel oder Sven oder Torsten. Nein, mit dem Namen Ernst war er zufrieden und parierte die natürlich auch in Deutschland stattfindenden literarischen Anspielungen mit frischgewonnener Bravour. Wobei sich die Menschen hier ohnehin sehr viel weniger für den großen alten Amerikaner und seine Kubageschichten und seine Fischgeschichten interessierten. Zumindest in den Freundeskreisen, in denen Ernst jetzt verkehrte. Hamburger Kleinbürgertum. Er liebte das Hamburger Kleinbürgertum, das sich freilich Mittelschicht nannte. Egal, er war zufrieden mit diesen Leuten und beherrschte ihre Sprache bald in einer Weise, als hätte er immer schon unter ihnen gelebt. Hatte somit auch kein Problem, dem in Deutsch vorgetragenen Unterricht zu folgen. Ein Fach allerdings verweigerte er, wie man sich denken kann. Was eigentlich an diesem Gymnasium gar nicht ging, sich des Pflichtgegenstands Englisch zu enthalten, aber nachdem ein
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