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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit
Autoren: Heinrich Steinfest
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auskamen. Lena hingegen war leider nun mal Opfer einer Gesellschaft, in der das frühe Aufstehen zum guten Ton gehörte und man vor allem junge Menschen, die eigentlich mehr Schlaf nötig hatten – nicht zuletzt, weil sie an den Abenden das während Schulzeit und Nachmittagsstreß verlorene Leben nachzuholen versuchten −, daß man also gerade die zwang, den Tag so zeitig zu beginnen. Die Vermutung, daß unser Schulsystem eine bewußte und gewollte Bösartigkeit gegen junge Menschen darstellt, denen man ihre Jugend neidet, wäre zwar eine gewagte Annahme, hat aber etwas für sich.
    An diesem Umstand konnte nun leider auch Cheng nichts ändern, wollte aber Lena wenigstens die Freude eines guten Frühstücks angedeihen lassen. Um selbiges genießen zu können, mußte Lena freilich noch ein wenig früher aufstehen. Was sie tat, nicht ohne Murren, nicht ohne einen mißmutigen Blick auf den sie weckenden Cheng, so, als sei er für dieses ganze Unglück verantwortlich. Doch auf das frische Croissant, das manierlich geöffnete Sechs-Minuten-Ei, das von der Rinde befreite und liebevoll gestrichene Marmeladebrot sowie die Tasse warmen Tees wollte sie nicht verzichten. Umso mehr, als Cheng, der sich um diese Zeit nur Kaffee zugestand, in keiner Weise um ein Gespräch bemüht war. Statt dessen lief Musik, Lenas Musik, Hotelmusik also. Wogegen Cheng nichts hatte, auch wenn sie ihm fremd blieb. Er war schon lange in keinem Hotel mehr gewesen. Die Dinge änderten sich, das war normal.
    Nachdem er Lena verabschiedet hatte – er küßte sie auf die Stirn, als schließe er eine kleine, vom Schlaf noch offene Lücke ihrer Schädeldecke –, kehrte er ins Wohnzimmer zurück, setzte sich ans Fenster und betrachtete im Schein einer warmen, klaren Morgensonne das Treiben der Salzkrebschen. Zwischen den zuckenden Larven einer neuen Generation schwammen mit besagter Eleganz sieben erwachsene Exemplare von unterschiedlicher Länge und Beweglichkeit. Am Boden hatte sich etwas gebildet, was Cheng schlichtweg als »Müll« bezeichnete, Abgestorbenes eben, nicht zuletzt die Häute der Krebse. Denn die Häute wuchsen nicht mit, weshalb sie nach einiger Zeit abgelegt werden mußten. Gleich zu engen Kostümen. Allerdings wurden sie nicht wie bei den Westeuropäern gesammelt und sodann irgendwelchen armen Eskimos oder armen Kaukasen aufgedrängt, sondern verblieben im eigenen Land, in unmittelbarer Nähe. Auch trieben die ersten toten Krebse durch das Wasser, bevor sie ebenfalls vom Bodensatz eingefangen wurden. Ein Bodensatz, welcher eigentlich – würde Cheng die Anleitung genau gelesen haben – mit der mitgelieferten Pipette hätte abgesaugt werden müssen. Statt dessen ging Cheng davon aus, daß der »Müll« dazugehörte. Und im Grunde stimmte das ja auch.
    Wenn nun die Sache auch ohne Entsorgung funktionierte, sprich die Wasserqualität des Pfuhls eine gute blieb, dann darum, weil Cheng regelmäßig Bewegung in eben diese Sache brachte, die Pipette vorsichtig ins Becken führte und damit kreisend einen moderaten Strudel erzeugte, bevor er mehrmals Luft ins Wasser pumpte. Dabei geschah es eben nicht nur, daß es die Tierchen herumwirbelte, sondern gleichfalls den Dreck, der sich über den gesamten Raum verteilte, um in der Folge wieder abzusinken und ein erneutes Konglomerat zu bilden.
    Zuerst fiel es ihm nicht auf. Natürlich nicht. Auch wenn die Krebse größenmäßig ein wenig voneinander abwichen und die Weibchen mitunter Eiersäcke hinter sich herzogen, war es nicht so, daß Cheng den einen Krebs vom anderen hätte unterscheiden können. Auch führte er nicht Buch. Noch nicht. Zudem waren das hier keine Pinguine oder Albatrosse oder Delphine, die man markieren und mit Peilsendern ausstatten konnte. Wohin hätten sie auch ziehen sollen? Sie waren quasi in Wien und in der Lerchenfelder Straße gefangen. Wie allerdings auch einige Menschen.
    »Täusche ich mich?« fragte sich Cheng, weil er nur sich selbst fragen konnte. Lena und ebenso Ginette schenkten den Tierchen zu wenig Aufmerksamkeit, um beurteilen zu können, ob Chengs Eindruck stimmte, daß einer der Krebse aus der stammbildenden ersten Generation sich in die zweite Generation hinübergerettet hatte, somit noch lebte, als seine ursprünglichen Zeitgenossen längst verstorben waren. Es war jedenfalls bereits Sommer und das von frühlingshafter Überwässerung kranke Wien im Zustand einer heilenden Diät, als Cheng sich nach und nach dessen gewiß wurde, daß einer der Krebse mit
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