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Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod

Titel: Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod
Autoren: Bruno Portier
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links oder nach rechts?«
    Evan antwortet greinend hinter den Büschen.
    »Keine Ahnung. Schau doch mal kurz auf die Karte.«
    Anne betrachtet die Kreuzung. Eine junge Inderin in karminrotem Sari, die ein Bündel Holz auf dem Kopf trägt, überquert die Fahrbahn und biegt in einen Weg ein.
    »Madam!«
    Die junge Inderin dreht sich anmutig um. Die purpurne, zwischen ihren schwarzen Brauen aufgeklebte Paillette kontrastiert mit ihren braunen Augen, dem bernsteinfarbenen Teint ihrer Haut und dem strahlenden Weiß ihrer Zähne. Anne steigt rasch vom Motorrad, nimmt ihren Helm ab und nähert sich ihr.
    »Verzeihen Sie bitte. Wo geht es nach Rabang?«
    Die junge Frau versteht nicht. Elegant und lächelnd wiegt sie den Kopf hin und her, grüßt die Fremde und geht ihres Weges. Anne holt sie ein und deutet auf die Kreuzung.
    »Rabang?«
    Evan tritt von hinter dem Busch hervor, schnallt den Gürtel fest und schlendert zu seinem Motorrad. Die junge Inderin fixiert kurz die Abzweigung und wendet sich wieder Anne zu.
    »Robang?«

    Rabang, Robang. Anne zögert.
    »Äh … ja. Robang.«
    »Dort entlang.« (In Hindi)
    Evan beobachtet, wie die junge Bäuerin mit der Hand auf den Weg weist, den sie gekommen ist, die Fremde ein zweites Mal grüßt und weitergeht. Anne macht kehrt und wirft Evan einen flüchtigen, fragenden Blick zu. Etwa zwanzig Meter entfernt auf dem Motorrad sitzend, zieht er ein schiefes Gesicht und fährt fort, sich den Bauch zu massieren. Anne gibt ihm durch ein Zeichen zu verstehen, er solle sich umdrehen. Weiter unten auf der Straße setzt sich ein betagter Tibeter vor einen kleinen, aus Steinen errichteten Stupa 6 .
    »Ich frag ihn.«
    Evan öffnet eine Packtasche, holt die Straßenkarte hervor und macht sich auf zur Begegnung mit dem Greis. Eine Gebetsmühle in der Hand, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, wiegt sich der alte Mann und murmelt Gebete.
    »Verzeihung.«
    Der andere fährt zusammen, hebt den Kopf und lächelt, als er Evan sieht.
    »Guten Tag. Wir suchen den Weg nach Robang.«

    Evan zeigt ihm die Karte und deutet auf Rabang. Der alte Mann scheint nicht zu verstehen. Evan lässt nicht locker, spricht die beiden Silben des Namens deutlich aus.
    »Roo-banng, kennen Sie diesen Ort?«
    Der Alte nimmt Evan die Karte aus den Händen und dreht sie in alle Richtungen. Anne, die vor dem Motorrad steht, beobachtet die Szene mit Sorge. Aufmerksam studiert der Tibeter die verkehrt herum gehaltene Karte. Plötzlich wendet er voller Freude den Blick Evan zu.
    »Rabang?«
    »Ja, Rabang, richtig!«
    Der alte Mann streckt den Arm in Richtung des Weges aus, den schon die junge Inderin bezeichnet hatte. Annes Augen, die sie mit der Hand abschirmt, folgen der verlängerten Linie. Sie kann nicht erkennen, wo der Weg endet, sie sieht nur das gleißende Licht der Sonne.

    Das Motorrad blitzt auf in weißem Licht. Es erklimmt den steilen holprigen Weg an der Flanke eines Berges. Auf dem Rücksitz hin und her geschüttelt, umklammert Anne ihren Gefährten und bewundert die Landschaft. In der Tiefe, durchschnitten von einer Reihe Zypressen, funkeln Tausende goldfarbene Terrassen:
die stufenartig angelegten Parzellen voller Getreide. Das Motorrad erreicht mühsam den höchsten Punkt. Rundherum baden die verschneiten Gipfel im orangenen Glanz der untergehenden Sonne. Anne klopft Evan auf die Schulter.
    »Pause!«
    Evan lässt die Maschine ausrollen. Anne gleitet vom Sattel, wirft ihren Helm auf einen Flechtenteppich und improvisiert einige gymnastische Bewegungen, um die gefühllosen Beine wieder zu beleben.
    »Uff!«
    Auch Evan steigt ab, entledigt sich seines Helms und genießt andächtig die Aussicht.
    »Mein Gott, ist das schön!«
    Sie setzen sich nebeneinander und bestaunen verträumt das Panorama.
    »Und wenn wir hier die Nacht verbringen würden?«
    Gereizt wendet sich Evan seiner Gefährtin zu.
    »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich lieber in einem guten Bett schlafen. Seit acht Stunden fahre ich; ich bin erschöpft und habe Bauchweh. Außerdem müssten wir nicht mehr weit weg sein von Rabang. Erinnerst du dich an das kleine paradiesische Hotel, von dem im Reiseführer die Rede war?«
    Anne schweigt für einige Augenblicke und schüttelt dann missmutig den Kopf.

    »Niemand erwartet uns. Wir haben jede Menge Imodium dabei, einen großen Schlafsack, Wasser und sogar Nahrung. Bist du sicher, dass du nicht hier schlafen willst, wohlig und warm an mich gekuschelt?«
    »Ja, mein Liebling. Ich bin absolut
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