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Ciao Tao

Ciao Tao

Titel: Ciao Tao
Autoren: Hen Hermanns
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1.

    Es war sechs Uhr morgens, für Mitte Oktober war es entschieden zu kalt, und es waren noch zwei Wochen bis zum New York Marathon.
    Ich war wie immer zum Rhein gelaufen, dann bis nach Rodenkirchen, über die Autobahnbrücke, dann am anderen Ufer entlang zurück und über die Deutzer Brücke wieder auf die linksrheinische Seite. Ich hatte für die 20 Kilometer 80 Minuten gebraucht, also 4 Minuten pro Kilometer, und war damit ganz zufrieden. Die letzten fünf Kilometer wollte ich jetzt gemütlicher laufen und dabei noch einen kleinen Umweg durch die Altstadt machen. Ich mochte diese dunklen leeren Gassen mit dem morgenfeuchten Kopfsteinpflaster, auf dem die Schritte widerhallten, und den Alkoholdunst der vergangenen Nacht.
    Es erwischte mich hinter dem >Biermuseum<. Es machte einfach nur Plopp. So, als würde man eine Weinflasche entkorken. Ich fühlte einen Schlag gegen meinen rechten Arm, kam aus dem Tritt, streifte mit der linken Schulter einen Laternenpfahl und knallte aufs Pflaster.
    Mein rechter Oberarm brannte, unter meinem aufgerissenen Ärmel wurde es warm und feucht.
    Es war, wie gesagt, sechs Uhr morgens in Köln. Nicht in New York. Und ich war kein Private Eye oder so, sondern Werbetexter bei W.A.T.CH. Aber irgendein verdammtes Arschloch hatte auf mich geschossen. Keiner hatte was mitbekommen. Und der verdammte Taxifahrer, den ich glücklicherweise erwischte, fragte, ob ich mich beim Laufen übernommen hätte. Und der verdammte Arzt in der Ambulanz dachte, ich sei verrückt. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Streifschuß gesehen. Der Oberarzt hatte. Und der rief dann auch die Polizei an. Ich mußte mit meinem verbundenen Arm ins Präsidium, gab alles zu Protokoll und erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Vom Polizeipräsidium aus rief ich in der Agentur an und sagte, ich käme erst morgen wieder, weil heute jemand auf mich geschossen habe. Natürlich fragte mich die Telefonistin, ob ich irgend etwas eingenommen hätte. Ich war ziemlich blaß, und die Bullen brachten mich freundlicherweise nach Hause.
    Das mit dem Arm war halb so wild, und im Grunde war ich heilfroh, daß es mich nicht am Bein erwischt hatte. So würde ich auf jeden Fall mein Marathon-Training fortsetzen können. Im letzten Jahr hatte ich die 42,195 Kilometer in drei Stunden geschafft. Das war 1936 immerhin mal olympischer Rekord. Aber heute laufen die Cracks eben unter 2.10, und ich wollte wenigstens unter drei Stunden kommen. Diesmal würde ich es schaffen. Aber ich würde wohl meine Trainingsstrecke ändern müssen.
    Und dann zitterte ich plötzlich wie Espenlaub. So ein verdammtes Arschloch hatte einfach auf mich geschossen. Aus dem gewohnten Frühstücksmüsli wurde ein doppelter Espresso plus ein mehrfacher Grappa. Die freundlichen Bullen hatten mir sehr sachlich alle bekannten Derrick-Fragen gestellt. Aber ich hatte weder Feinde angeben noch irgendwelche Erklärungen anbieten können. Höchstens, daß ich wohl kaum persönlich gemeint gewesen sein konnte, daß es sich um eine Verwechslung handeln mußte oder einfach nur um einen gemeingefährlichen Irren.
    Vor drei Tagen hatte ich einen Juniortexter gefeuert, so einen aus einem Zeitgeistmagazin entsprungenen Versager, der meinte, mit 30 Jahren Millionär sein zu müssen. Ich hatte ihm gesagt: »Wenn du 30 bist, donnere ich mit meinem Jaguar über die Brücke, unter der du dann pennst«, hatte ihm anschließend noch ausführlich erklärt, warum niemals ein guter Texter aus ihm werden konnte, und dann hatte ich ihn gefeuert. Wenn ich etwas hasse, dann Leute, die ihren Job nicht gut machen. Aber dieses Jüngelchen als Killer? Kaum. Oder meine Exfrau? Mein Gott, wir waren seit über sechs Jahren geschieden. Let bygones be bygones. Es mußte ein Idiot gewesen sein. Ein Freak, ein Säufer, ein Junkie, was weiß ich. Ich hatte Glück gehabt. Max Reinartz, 38, Werbetexter, Goldmedaillenträger des Art Directors Club, beim Joggen erschossen von einem wahnsinnigen Arschloch. Meine Güte. Welch grausame Banalität. Ich trank noch einen Grappa und las ein bißchen im Tao te king. Beides brachte mich kein Stück weiter.

2.

    Der Meeting-Room von W.A.T.CH. war mit diesem äußerst kostspieligen Sinn für das Einfache eingerichtet. Der Tisch war groß genug, um darauf bequem einen Walfisch filetieren zu können. Drumherum zwölf schlichte, hochlehnige, mit schwarzem Leder bezogene Eames-Chairs. In einer Ecke brummte der Original Refrigerator von Raymond Loewy aus dem Jahre 1955 und ließ
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