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Ballard, James G.

Ballard, James G.

Titel: Ballard, James G.
Autoren: Welt in Flammen
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eine
Art verständnisvoller Zuneigung auszudrücken, als wisse Quilter genau, mit
welchen Problemen Ransom innerlich zu kämpfen hatte. Der übertrieben große
Kopf, die brandroten Haare und das hohlwangige Faunsgesicht mit den strahlend
blauen Augen; die seltsam tief in den Höhlen lagen – das alles erschreckte
Menschen, die Quilter unversehens begegneten, ohne vorher von ihm gehört zu
haben. Die meisten ließen ihn klugerweise in Ruhe, denn Quilter hatte die
unangenehme Eigenschaft, die schwachen Stellen seines Gegenübers auf den ersten
Blick intuitiv zu erfassen und sich dann ausgiebig mit ihren zu beschäftigen.
    Dieser Instinkt für Versager war
vielleicht auch die Grundlage des stillschweigenden Einverständnisses zwischen
Quilter und ihm, überlegte Ransom sich, als er sah, daß der junge Mann ihn
weiterhin durch die geöffnete Kabinentür beobachtete. Offenbar hatte Quilter
rasch erkannt, daß Ransom nur deshalb so oft auf das Hausboot floh, weil er
nicht die Absicht oder die Willensstärke besaß, bestimmte Probleme seines
Privatlebens energisch zu lösen. Aber vielleicht war ihm auch klar geworden,
daß Ransom sich im Lauf der Zeit immer mehr einer Gemeinschaft zugehörig
fühlte, die ihr Dasein nach den Gegebenheiten des Flusses ausrichtete, den
Ransom im Unterbewußtsein längst für wichtiger als sein Heim und seine Arbeit
im Krankenhaus hielt.
    Den ganzen Sommer über hatte Ransom
das ständige Sinken des Wasserspiegels beobachtet und dabei vor allem erkannt,
daß sich die Rolle des Flusses innerhalb der Zeit veränderte. Früher hatte er
die Funktion einer riesigen Uhr übernommen, denn die fortwährende gleichmäßige
Bewegung des Flusses hatte unverkennbar Ähnlichkeit mit der offenbar linearen
Bewegung der Zeit selbst. Wirklich beweglich waren allerdings nur die Objekte
innerhalb dieses Stroms, zwischen denen es zu willkürlichen und zufälligen
Begegnungen kam. Mit dem Tod des Flusses wurde jedoch aller Kontakt zwischen den
Lebewesen unmöglich, die sich noch auf dem ausgetrockneten Grund befanden,
obwohl die Notwendigkeit, zunächst für das eigene Überleben zu sorgen, diesen
Mangel vermutlich anfangs weniger in Erscheinung treten lassen würde. Trotzdem
war Ransom davon überzeugt, daß die Abwesenheit dieses großen universellen
Moderators, der eine Brücke zwischen allen Lebewesen geschlagen hatte, sich im
Lauf der Zeit entscheidend auswirken mußte. Jeder von ihnen würde sich schon
bald auf einer Insel inmitten eines Archipels befinden, dessen Meer – die Zeit
– ausgetrocknet war.
    Ransom zog seine leichte Jacke aus
und ließ sich auf der Bank unter dem breiten Heckfenster der Kabine nieder. Er
hatte zwar beschlossen, wieder einmal an Land zu gehen, aber nach einer Woche
an Bord des Hausboots hatte er keine rechte Lust dazu, diese vertraute Umgebung
zu verlassen und die gesellschaftlichen und geistigen Konzessionen zu machen,
die damit verbunden waren, obwohl sie unterdessen kaum noch umfangreich sein
würden. Er hatte sich einen Bart stehen lassen, den er allerdings auch jetzt
nicht abzunehmen brauchte, da er in Larchmont kaum noch Bekannte treffen würde.
Obwohl der dunkle Bart sein hageres Gesicht ziemlich veränderte, akzeptierte er
diese neue persona als Teil der veränderten Perspektive des Flusses und als
Zeichen seiner eigenen Isolierung an Bord des Hausboots.
    Er hatte das Boot im vergangenen
Winter zum Verkauf angeboten gesehen, als er einen Patienten am Jachthafen
besuchte. Der pastellblaue Rumpf und die ovalen Bullaugen ließen es völlig
unnautisch erscheinen, aber die nüchterne Innenausstattung war so
ausschließlich funktionell und unpersönlich, daß Ransom sich sofort zum Kauf
entschloß. Zur Überraschung der anderen Bootsbesitzer verzichtete er allerdings
auf einen Liegeplatz innerhalb des Beckens und verankerte das Boot am Ufer
unterhalb der Straßenbrücke. Dieser Liegeplatz war schlechter und kostete nur
eine lächerlich geringe Miete, weil es dort überall nach trocknenden Fischen
stank, aber Ransom war dort zumindest für sich allein und außerdem näher an der
Straße, die nach Larchmont und zum Krankenhaus führte. Die einzige Gefahr
bestand aus den Zigarettenstummeln, die aus den Fenstern der Autos geworfen
wurden, die über die Brücke fuhren. Ransom saß nachts oft auf dem Oberdeck und
beobachtete die glühenden Punkte, die einen Bogen durch die Luft beschrieben,
bevor sie leise zischend im Wasser vor ihm erloschen.
    Ransom hatte das Hausboot nach
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