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Ballard, James G.

Ballard, James G.

Titel: Ballard, James G.
Autoren: Welt in Flammen
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seinen
Vorstellungen eingerichtet und sich dabei wesentlich mehr Mühe gegeben als mit
dem Haus, das er gemeinsam mit Judith bewohnte; die Kabine enthielt eine
Sammlung alter Erinnerungen und Talismane, die er im Lauf seines Lebens
angehäuft hatte. Alle diese Kleinigkeiten – medizinische Lehrbücher, die er
während seines Studiums benützt hatte, ein Briefbeschwerer aus Kalkstein mit
dem Abdruck eines Fischskeletts, eine kurz vor der Scheidung seiner Eltern
gemachte Fotografie, die spie auf dem Rasen ihres Hauses zeigte, die
Reproduktion eines kleinen Gemäldes: ›Jours de Lenteur‹ von Tanguy und andere
Andenken – hatte er in den vergangenen Monaten heimlich an Bord gebracht, um
einen schützenden Kreis innerer Realität für sich selbst zu ziehen. Wenn er
sich jetzt in der Kabine umsah, wurde ihm klar, daß sein Hausboot ihn in
gewisser Beziehung vor den Drücken und Vakua der Zeit schützte – wie die Kapsel
eines Astronauten, die Schutz vor den Gefahren des Weltraums bieten sollte.
Hier waren die unbewußten Erinnerungen seiner Kindheit und Jugend isoliert und
in Bruchstücken ausgestellt, als seien sie Versteinerungen in den Glaskästen
eines Museums.
    Draußen ertönte eine Warnsirene. Der
uralte Flußdampfer, dessen verblichene Markisen über leeren Sitzreihen
flatterten, steuerte die Fahrrinne zwischen den beiden höchsten Brückenpfeilern
an. Captain Tulloch, ein hagerer Alter mit rotem Gesicht und einer riesigen
Knollennase, saß über dem Rudergänger auf dem Dach des Steuerhauses und starrte
mit zusammengekniffenen Augen den merklich verengten Kanal entlang. Der Dampfer
hatte so geringen Tiefgang, daß er noch über Sandbänke hinwegglitt, die kaum
einen Meter unter der Wasseroberfläche lagen. Ransom vermutete, Tulloch sei
unterdessen halb blind, werde aber die sinnlosen Fahrten mit dem leeren
Dampfer, der früher Touristen über den See befördert hatte, trotzdem fortsetzen,
bis das Schiff eines Tages endgültig auf Grund lief.
    Als der Dampfer an ihm
vorbeirauschte, griff Quilter nach der Reling, zog sich daran hoch und blieb
sprungbereit stehen.
    »Wahrschau! Volldampf voraus!« Das
Schiff schlingerte leicht, und Captain Tulloch sprang mit einem wütenden
Aufschrei von seinem erhöhten Platz. Er griff nach einem Bootshaken und
humpelte damit auf Quilter zu, der ihm eine spöttische Grimasse schnitt, bevor
er sich wie ein Schimpanse an der Reling entlanghantelte. Der Dampfer hatte
unterdessen die Brücke passiert und näherte sich dem alten Kahn der Quilters,
wo Mrs. Quilter jetzt aufstand, um Captain Tulloch zu beschimpfen, der ihren
Sohn noch immer mit dem Bootshaken in der Hand verfolgte. Dann brachte Quilter
sich mit einem gewaltigen Satz in Sicherheit und lag bereits auf dem Oberdeck
des Kahns, als der Captain zu einem letzten vernichtenden Stoß ausholte und
dabei nur Mrs. Quilters chinesischen Fächer traf, der ihr aus der Hand ins
Wasser fiel.
    Das heiße Sonnenlicht glitzerte im
Kielwasser des Dampfers, während Mrs. Quilters Gelächter nur allmählich
verklang. Ein einzelnes Auto rollte über die Straßenbrücke und fuhr in Richtung
Küste weiter. Ransom verließ sein Boot und ging ans Ufer, um seinen Regenmesser
zu inspizieren. Er hatte das Gerät vor einem Vierteljahr aufgestellt, aber
bisher enthielt der Zylinder nur einige Zentimeter Staub und dürre Blätter. Als
er den Behälter leerte, sah er eine junge Frau im weißen Bademantel fünfzig
Meter von sich entfernt ans Wasser gehen. Sie ging so langsam wie ein Mensch,
der eben erst von einer schweren und langen Krankheit genesen ist und jetzt
weiß, daß er keine Eile zu haben braucht, weil er mehr als genug Zeit hat. Der
getrocknete Schlamm wirbelte bei jedem Schritt zu einer kniehohen Staubwolke
auf, aber sie achtete nicht darauf, sondern hatte nur Augen für das dünne
Rinnsal, das früher ein breiter und tiefer Fluß gewesen war.
    Dann warf sie Ransom einen kurzen
Blick zu, schien aber keineswegs überrascht zu sein, ihn hier am Ufer zu sehen.
Ransom war sich seinerseits darüber im klaren, daß sie zu den letzten Menschen
gehören würde, die noch den Mut besaßen, weiter in der verlassenen Stadt zu
leben. Seit dem Tod ihres Vaters, des ehemaligen Direktors des Mount Royaler
Zoos, hatte Catherine Austen allein in einem Haus am Fluß gewohnt. Ransom hatte
sie gelegentlich am Ufer gesehen und ihr zugewinkt, wenn er vorbeisegelte;
allerdings hatte sie sein Winken nie erwidert.
    Jetzt kniete sie am Wasser und
betrachtete die
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