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Ballard, James G.

Ballard, James G.

Titel: Ballard, James G.
Autoren: Welt in Flammen
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Kabine, mit dem das
Zeug vielleicht abgeht.«
    »Wird gemacht, Doktor!«
    Philip Jordan, das Kind des Flusses
und zugleich sein letzter Ariel, hielt den Schwan in seinen Armen und breitete
die mächtigen schlaffen Schwingen aus, deren Enden das trübe Wasser berührten.
Ransom kannte ihn bereits seit einigen Jahren und hatte verfolgt, wie der
zwölf- oder dreizehnjährige Junge sich zu einem kräftig gebauten jungen Mann
entwickelte, der die rasche Auffassungsgabe und die nervöse Grazie eines
Eingeborenen besaß.
    Vor mehr als fünf Jahren, als Ransom
sich gelegentlich ein Segelboot mietete, um ein Wochenende allein auf dem See
zu verbringen, wo er sich eine neue Welt aus Wasser, Wind und Sonne zu bauen
vorgenommen hatte, war Philip Jordan der einzige Mensch gewesen, der in seinem
neuen Kontinuum Platz hatte. Damals war eines Abends plötzlich ein
braungebrannter kleiner Junge aus der Dunkelheit aufgetaucht, als Ransom sein
Boot in Ufernähe verankert hatte um nach dem Abendessen noch etwas zu lesen.
Nur ein leises Plätschern hatte Ransom verraten, daß er nicht mehr allein war,
denn der Junge beobachtete ihn schweigend von seinem Ruderboot aus und blieb
ständig in etwa zehn Meter Entfernung, ohne auf Ransoms Fragen zu antworten. Er
trug eine verblichene Khakihose und ein Hemd aus dem gleichen Stoff –
anscheinend eine ehemalige Pfadfinderuniform.
    Mach einer längeren Pause, in der
Ransom seine unterbrochene Lektüre wieder aufgenommen hatte, holte der Junge
eine kleine braune Eule zwischen den Füßen hervor und hielt sie hoch, als wolle
er sie Ransom zeigen – oder Ransom der Eule, wie der Doktor schon damals
vermutete. Dann verschwand er ebenso plötzlich, wie er gekommen war, und ließ
Ransom einigermaßen erstaunt zurück.
    Allerdings kam er schon in der folgenden
Nacht wieder an das Boot und nahm diesmal sogar einen Teller Hühnerragout
entgegen, den Ransom ihm anbot. Dabei beantwortete er auch einige Fragen,
sprach aber nur über die Eule, den Fluß und sein Boot. Ransom vermutete daher,
der Junge wohne in der Hausbootkolonie, die in den letzten Jahren am anderen
Seeufer entstanden war.
    Er begegnete dem Jungen auch in den
folgenden Monaten nur selten, aber Philip war immerhin schon so zutraulich
geworden, daß er Ransoms Einladungen zum Essen annahm und ihm sogar half, das
Boot bis zur Flußmündung zu segeln. Hier verabschiedete er sich jedoch
unweigerlich und schien das offene Wasser des Sees nicht verlassen zu wollen.
Er hatte Ransom noch immer nicht erzählt, wo er wohnte und sprach von sich
selbst nur mit seinem Familiennamen – ein erster Hinweis darauf, daß er aus
einem Waisenhaus oder einer ähnlichen Institution geflohen war und nun allein
in der Wildnis lebte. Im Winter war er oft halb verhungert und zog sich mit dem
Essen, das er von Ransom erhielt, wie ein wildes Tier zurück, um es allein zu
verschlingen.
    Ransom überlegte sich oft, ob es
nicht besser wäre, diesen Fall den Fürsorgebehörden zu melden, weil er
befürchtete, Philip nach einem besonders kalten Wochenende als Leiche im Wasser
treiben zu sehen. Aber irgend etwas hielt ihn doch immer davon ab, zum Teil
sein eigener wachsender Einfluß auf die Entwicklung des Jungen – er lieh ihm
Papier und Bleistifte, beschaffte ihm einfache Bücher und half ihm, sie zu
lesen –, zum Teil aber auch die Faszination, die von diesem Schauspiel eines
neuzeitlichen Robinson Crusoe ausging, der in einer Welt der Vermassung als
letzter Individualist lebte.
    Zum Glück verringerten sich die
Gefahren, denen Philip Jordan ausgesetzt war, mit zunehmendem Alter, und der
junge Robinson, der noch für jeden Nagel und Angelhaken dankbar gewesen war,
verwandelte sich in einen listigen Odysseus. Sein Gesicht wurde länglicher und
schmaler, so daß die scharfe Nase und die hervorstehenden Backenknochen ihm ein
waches, fast etwas zu gerissenes Aussehen gaben. Philip übernahm, gelegentlich
kleinere Aufträge für Captain Tulloch und die Jachtbesitzer am Hafen, so daß er
allmählich weniger auf Jagd und Fischfang angewiesen war. Trotzdem blieb er
weiter von Geheimnissen umwittert, die vielleicht erst das bevorstehende
Verschwinden des Flusses ans Tageslicht bringen würde.
    Ransom nahm eine Flasche Terpentinöl
und ein Knäuel Putzwolle aus dem Wandschrank in der Kombüse. Hoffentlich hatte
seine Sorglosigkeit, aus der heraus er Philip früher nicht den Behörden
gemeldet hatte, nicht jetzt schreckliche Folgen für den armen Jungen, denn
obwohl Philip es
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