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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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begannen. Bis heute wagt man nicht zu entscheiden, ob aus Trauer oder aus Freude.
    So ein russisches Begräbnis hat es in sich – wem sage ich das, Genossen!
    Und wenn ein Mensch wie Babkin nun wirklich tot ist, ein solch angesehener Mann, der sichtlich nur Freunde hinterläßt, die ehrlich um ihn trauern, dann kann man damit rechnen, daß es ein großes Begräbnis wird, ein besonderer Tag, eine Art Volksmarsch zum Friedhof, angeführt von Bürgermeister Blistschenkow, mit roten Fahnen und einer Musikkapelle der Sowchose ›Vorwärts‹. Der Kirchenchor wurde zusammengeholt und probte unter Waninows persönlicher Leitung zwei Choräle, die mehr nach Jubel klangen als nach Trauer.
    Nur Walentina fehlte im Chor, und das schmerzte Waninow tief. Sobakin, der Totengräber, hob mit zwei Gehilfen ein großes Grab aus, denn der Sarg, den Mischin lieferte, sprengte alle normalen Maße und benötigte den Platz von sonst zwei Gräbern.
    »Acht Mann müssen ihn tragen!« verkündete Mischin stolz. »Sechs brechen darunter zusammen, ich sag's euch. Eisenhartes Holz! Und so groß, daß Babkin sich darin herumrollen könnte. Was er kostet? Fragt mich nicht, Genossen … Babkins Tod ist mir das wert.«
    Man durfte also Großes erwarten – in der Kirche, auf dem Weg zum Friedhof, am Grabe selbst. Anschließend hatte die Witwe Nina Romanowna zum Umtrunk und zu einem kleinen Essen geladen. Den Saal der Stadthalle hatte man dafür gemietet, weil allein die Ehrenformationen der Verbände und Vereine in Babkins Garten keinen Platz mehr finden würden.
    »Jetzt sieht man erst, wie beliebt dieser Babkin war«, sagte ein ahnungsloser Mensch, der mit einer Gruppe Ingenieure vor gerade fünf Tagen nach Ulorjansk gekommen war. »Fast wie ein Staatsbegräbnis ist das ja. War er ein so bedeutender Mann?«
    »Er kannte jeden«, antwortete ein halbwegs Eingeweihter. »Und das genügt, daß alle Zeuge sein wollen, ob Babkin auch wirklich begraben wird.«
    Der Neuling in Ulorjansk begriff natürlich nicht, was damit gesagt werden sollte. Es reichte ja auch aus, daß viele andere das verstanden.
    Zudem zeigte Babkins Begräbnis in einmaliger Deutlichkeit, was kommunistische Organisation heißt: Um sechs Uhr morgens stellte Dr. Poscharskij einwandfrei Wadim Igorowitschs Tod fest. Um neun Uhr waren alle Delegationen unterrichtet, um zehn Uhr probte die Kapelle der Sowchose ›Vorwärts‹ den Trauermarsch, das Lied der sibirischen Pioniere und die Nationalhymne. Um elf Uhr lieferte man die ersten Blumengebinde, Körbe und Kränze an, ebenfalls um elf jubilierte der Kirchenchor, bis zwei Uhr nachmittags war der Festsaal der Stadthalle geschmückt, und das Schmieren der belegten Brote begann.
    Um drei Uhr nachmittags war Babkins Grab ausgehoben und mit Tannengrün ausgelegt, um fünf Uhr begann der Marsch der Trauergäste und der Delegationen zum Friedhof, um sechs Uhr am Nachmittag sollte Babkin begraben werden …
    Was sagt man nun? War das eine Organisation? Wer machte das den Ulorjanskern nach? So etwas gelingt nur in einer kommunistischen Volksgemeinschaft. Blistschenkow nahm sich vor, dieses Ereignis als Thema seiner nächsten Parteirede zu nehmen.
    Der Einfachheit halber hatte die Familie Babkin den Verblichenen in der Kirche gelassen. Ihn hin und her zu tragen, wär Dummheit; wenn schon jemand in der Kirche vor der heiligen Ikonostase stirbt, dann hat er verdient, bis zuletzt unter dem Blick der Heiligen zu verweilen.
    Es wäre jedoch nicht Babkins Begräbnis gewesen, wenn alles so glatt vonstatten gegangen wäre, wie man es vorausgeplant hatte.
    Schon die Eile, mit der man Babkin in die Erde senken wollte, war ungewöhnlich. Kaum jemand, selbst der uralte Adyl nicht, ein ehemaliger sibirischer Pelzjäger, konnte sich erinnern, daß jemals ein Begräbnis um sechs Uhr abends stattgefunden hatte.
    Beerdigungen hielt man am frühen Morgen ab, jedenfalls im Sommer, weil es dann noch angenehm kühl war. Denn war erst die Sonne hochgestiegen, lastete die Hitze schwer auf Wäldern, Seen, Sümpfen und Flüssen. So frostig ein sibirischer Winter sein kann, so heiß sind die kurzen sibirischen Sommer.
    Babkin aber sollte begraben werden bei fast dreißig Grad Hitze im Schatten – eine dumme, irreführende Feststellung übrigens, denn wo, frage ich, gibt's an einem offenen Grab schon mal Schatten? Nicht in Ulorjansk.
    »Gerade die Hitze ist's, die zur Eile zwingt«, erklärte Waninow jedem, der seiner Verwunderung Ausdruck verlieh. »Welch ein Sommer! Der
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