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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und umklammerte Babkins Schulter. »War ich nicht dein Täubchen? Oh, wie glücklich waren wir! Warum bist du von uns gegangen, mein Schatz … mein unsterblicher Schatz.«
    Pjotr Romanowitsch Noskow, der Bäcker, stand wie benommen da und glotzte in die Gegend. Erinnerungen zuckten auf: Wenn er um sechs Uhr morgens aus der Backstube kam, in der seine Arbeit schon um drei Uhr begann, war Lidija oft auch schon auf den Beinen und lief, ein Liedchen trällernd, durch das Haus. Fröhlich, glücklich, zufrieden. Natürlich war sie zufrieden: Babkin war gerade von ihr weggeschlichen. O Schande!
    Noskow senkte den Kopf, dachte an Mord und schämte sich fürchterlich.
    Doch nicht genug damit.
    Kaum hatte Lidija ihren Kummer hinausgeweint, da kam neue Bewegung in die Menge: Iwetta Andrejewna, die so unwahrscheinlich hübsche Frau von Dr. Poscharskij, eine Grusinierin mit all der Glut des Südens, warf sich dem Sarg fast entgegen, drückte Lidija zur Seite und bettete ihre Brüste auf Babkins Brust.
    »Nur wir wissen, was Liebe ist, Wadim Igorowitsch!« rief sie leidenschaftlich. »Nur wir haben sie genossen! Den Himmel haben wir aufgerissen … o mein ewiger Geliebter.«
    Nun gab es kein Halten mehr.
    Dr. Poscharskij, einem Herzschlag nahe, klammerte sich an Narinskij, dem Metzger, fest, der entweder seine Frau Arune vom Sarg oder Babkin aus dem Sarg reißen wollte – so genau hörte man das aus seinem Gebrüll nicht heraus.
    Noskow, der Bäcker, von jeher ein romantischer Mensch, was man an seinen Brötchen sah, die er oben mit einem gebackenen Röslein verzierte, raufte sich die Haare – aber das war alles nichts gegen Nina Romanowna, der völlig entkräfteten Witwe.
    Plötzlich war sie von ungeheurer Energie und Tatkraft erfüllt. Obwohl Nelli, Walentina, Pyljow und auch noch Afanasjew sie festhielten, zerrte sie wie ein Stier an der Umklammerung, und ihre Stimme übertönte allen Lärm.
    »Laßt mich zu ihm!« schrie Nina. »Bevor er in die Hölle fährt, will ich ihn noch anspucken! Den Kopf dreh' ich ihm auf den Rücken! Loslassen, Genossen! Väterchen Pope, begrab ihn nicht! Überlaß ihn allen Geschädigten!«
    Sie holte tief Luft und sah dann Pyljow und Afanasjew, die sich an sie klammerten, an. »Er fühlte sich als der ewig Betrogene und hat uns alle betrogen. Ist das zu begreifen? Wo hatten wir nur unsere Augen? Nein, begrabt ihn nicht – werft ihn auf den Abfallhaufen!«
    Waninow, ein paar Sekunden völlig erstarrt, stieß den neben ihm stehenden Dirigenten der Kapelle ›Vorwärts‹ hart in die Rippen. »Spiel etwas!« brüllte er. »Irgend etwas. Nur Musik! Musik! O mein Gott, was für eine Welt ist das!«
    Dubrowin, der Dirigent, nickte. Er hob den Taktstock, die Kapelle ›Vorwärts‹ setzte ein und spielte die sowjetische Nationalhymne. So stand's im Programm: Beim Grab Nationalhymne. Stück Nummer 4. Davon wich man nicht ab, denn Ordnung muß sein. Wie sollen sonst die Fünf-Jahrespläne klappen?
    Waninow verdrehte schaurig die Augen und rannte zum Sarg. Immerhin hatte die Nationalhymne die Wirkung, daß etwas Ruhe und Besinnung in die Menschenmenge kam. Einige Veteranen standen sogar stramm unter Ignorierung der Dinge, die an Babkins Sarg passierten, und es bildeten sich Gruppen, die über eheliche Treue und heimliche Liebe diskutierten.
    »Mit meiner Frau …« stammelte Narinskij, der Metzger. »Dabei war ich Babkins bester Freund. Wer hätte ihm das zugetraut?«
    »Und mit meiner Frau …« Noskow, der Bäcker mit den Rosenbrötchen, wischte sich über die Augen. »Nein, keiner hätte ihm das zugetraut. Schleicht sich morgens um drei in mein Haus! Das muß einer erst mal begreifen. Und ich war immer sein Freund …«
    »Und ich war sein Arzt!« sagte Dr. Poscharskij, heiser vor Zorn. »Immer war ich für ihn da, Tag und Nacht. Und wie dankt er es mir: Mit Iwetta schläft er! Wohl immer, wenn ich auf Krankenbesuch war. O Himmel, schleudere ihn ins Weltall!«
    »Ein unbegreiflicher Mensch!« sagte Narinskij beinahe ehrfürchtig. »Tag und Nacht muß er zu den Weibern unterwegs gewesen sein, aber im Basar war er auch immer, ganz gleich, zu welcher Zeit man kam. Wer kann das begreifen? Auch für Babkin hatte der Tag nur vierundzwanzig Stunden. Eigentlich muß man ihn bewundern …«
    Am Sarg hatten mittlerweile Mischin und der Totengräber Sobakin mit sanfter Gewalt Arune, Lidija und Iwetta von Babkin weggezogen, stülpten den Deckel über den Sarg und drehten die kunstvoll verschnörkelten
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