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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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heißeste seit vierzig Jahren! Und ausgerechnet da muß Babkin von uns gehen. Konnte er nicht im Winter sterben? Da hätte man ihn vereisen können und anständig von ihm Abschied nehmen, ohne Zeitdruck und mit allen ihm gebührenden Ehren. Aber jetzt …«
    Immerhin sah Babkin in seinem offenen Sarg noch immer bemerkenswert aus. Mischin hatte ihn ein wenig verschönert, etwas von Nina Romanownas braunem Puder auf sein Gesicht getupft, ihm den schwarzen Anzug angezogen und eine rote Nelke ins Knopfloch gesteckt, als ginge es zu einer Hochzeit und nicht in den Himmel. Das einzige, was Mischin nicht ändern konnte, waren die eingefallenen Wangen und die tiefen Augenhöhlen des Verblichenen, aber das nahm man diskussionslos hin.
    Liebe Freunde, es war eine ergreifende, grandiose, unvergeßliche Totenfeier für Ulorjansk. So voll war die Kirche, daß die letzten Trauergäste förmlich an den Wänden klebten und kaum genug Luft bekamen, um mitzusingen: »Geh hin zum Herrn, du treuer Bruder …«
    Außerdem waren ein paar Unverschämte dabei – wie bei allen solchen Feiern – die sich besonders aufplusterten und breit machten, damit sie um sich herum mehr Spielraum hatten, was zu heftigen gezischten Auseinandersetzungen und versteckten Rippenstößen führte.
    Als Waninow, imponierend in seiner Größe und mit seinem langen weißen Bart, in einem prächtigen Ornat mit viel Goldstickerei und mit dem ganzen Einsatz seiner gewaltigen Baßstimme singend die heilige Hostie hochhielt, war es unmöglich, sich niederzuknien. Ein paar alte Weiblein versuchten es trotzdem, wurden heillos von den Umstehenden eingeklemmt und kamen nicht wieder hoch, was wiederum einige Unruhe in der Kirche auslöste.
    Vorn vor dem offenen Sarg, Babkin, das Väterchen, in seiner letzten Würde mit Tränen betrachtend, stand die Familie. Nina Romanowna mußte von ihren Töchtern gestützt werden, das Bild einer völlig gebrochenen Witwe bot sie, und wenn es in Rußland Sitte gewesen wäre, wie in Indien die Witwen mit dem toten Ehemann zu verbrennen, man hätte erwartet, daß Nina freiwillig in das Feuer sprang.
    Zum Glück wurde dieser bemerkenswerte Brauch in Rußland nicht gepflegt. Hier durfte ein Witwendasein noch Freude bringen …
    Mit einem Choral endete die Totenfeier in der Kirche. Einer Sturmflutwoge gleich quollen die Menschenmassen ins Freie. Die Ehrendelegationen formierten sich, die Kapelle der Sowchose ›Vorwärts‹ stellte sich hinter den Fahnen auf, Blistschenkow, der Bürgermeister, einen roten Stern auf der Brust, übernahm neben der Familie Babkin die Spitze, und dann trugen acht Genossen ächzend den übergroßen und überschweren Sarg Mischins aus der Kirche, wuchteten ihn auf einen flachen Karren und dachten böse an die Strecke zum Grab, wo man Babkin wieder tragen mußte.
    Verkürzen wir den Weg zum Friedhof: Die Fahnen blähten sich in einem heißen Wind, die Kapelle ›Vorwärts‹ spielte fleißig Trauermärsche, Waninow schritt imponierend und hocherhobenen Hauptes unmittelbar hinter dem Sarg her, immer in Babkins Gesicht blickend, was ihn seelisch allerdings keinesfalls ergriff.
    Nina Romanowna mußte von Pyljow fast geschleppt werden, so kraftlos hatte Babkins Tod sie gemacht, und hinter ihnen folgten die Trauergäste mit gesenktem Haupt. Auch Dr. Poscharskij war natürlich unter ihnen, allein dafür verantwortlich, daß Babkin diesmal auch wirklich tot war.
    Am Grab nun – noch stand der Sarg offen am Rand der Grube – hieß es, endgültig Abschied zu nehmen. Erst danach schraubte man den Deckel zu und senkte den Sarg in die Erde. In Rußland ist das so. Diese letzten Minuten am Grab sind die wichtigsten der ganzen Beerdigung.
    Schon wollte Nina Romanowna, von Schwiegersöhnchen Pyljow gehalten, die letzten lieben Worte sprechen, so glaubhaft schmerzvoll wie ihr ganzes bisheriges Auftreten war, als ein leiser Aufschrei die Menge erschütterte.
    Arune Jelisaweta Narinskaja, die Frau des Nachbarn und Metzgers Narinskij, stürzte nach vorn, fiel neben dem Sarg vor Babkin auf die Knie, streichelte sein Gesicht und rief: »Leb wohl, mein geliebter Wadim Igorowitsch, leb wohl … Ich weiß, nur eine einzige Frau hast du geliebt: mich! Oh, ich danke dir dafür, mein Unvergessener …«
    Das hätte Arune Jelisaweta nicht sagen dürfen. Aus der Menge ertönte ein heller Aufschrei, und Lidija, die Frau des Bäckers Noskow, fiel neben Arune auf die Knie und warf sich über Babkin.
    »Wie haben wir uns geliebt!« weinte sie
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