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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ausbrach, daß man sich umarmte und küßte, Nina Romanowna den besten Krimwein holte und kräftig auf Babkins endlichen Tod angestoßen wurde, der täuscht sich gründlich.
    Genau das Gegenteil war der Fall: Lähmendes Entsetzen breitete sich aus, als Waninow und Poscharskij im Haus erschienen und erklärten, Babkin läge wahrscheinlich tot in der Gerümpelkammer der Kirche.
    Wahrscheinlich - das war das Wort, das jedem in den Magen fuhr. ›Wahrscheinlich‹ ist das Unsicherste von der Welt. ›Wahrscheinlich‹ kann man drehen und wenden, wie man will, und hat doch nie Gewißheit. Wahrscheinlich ist dehnbarer als Gummi.
    »Daß er uns das antut!« jammerte Nina Romanowna und legte schützend die Arme um ihre beiden neben ihr sitzenden Töchter. »Schon wieder! So kurz nacheinander! Besitzt er denn gar kein Schamgefühl? Was soll man von uns denken? Was wollen wir tun? Wieder bei Mischin einen Sarg bestellen? Uns wieder vor aller Welt blamieren? Ah, welche Gemeinheit von Wadim Igorowitsch, uns wieder in diese Situation zu bringen!«
    »Noch lebt er ja vielleicht«, versuchte Dr. Poscharskij sie zu beschwichtigen und dankte Walentina mit einem freudigen Blick, als sie eine Flasche Wodka und einige Gläser brachte.
    Sein Weibchen Iwetta schlief noch immer nach dieser verdammten Injektion, deren Wirkung Babkin so rätselvoll schnell abgeschüttelt hatte. Und so kommt es, dachte Poscharskij, daß man sich ans Saufen gewöhnen kann. »Noch ist er jedenfalls nicht amtlich tot! Das ist er erst, wenn ich den Totenschein ausschreibe. Und ich werde mich hüten, das jetzt schon zu tun.«
    »Angenommen, er ist wirklich tot –«, fragte Waninow, nahm Walentina die Flasche aus der Hand und setzte sie an seine dicken Lippen. Zufrieden rülpste er und gab die Flasche dann an Dr. Poscharskij weiter. »Was dann?«
    »Ein Fest, wo sich die Tische biegen, werde ich geben!« rief Nina Romanowna unter Tränen. »Wie bei den Ewenken werde ich ein Riesenfeuer anzünden. Getanzt werden soll bis zum Umfallen!« Sie holte tief Luft. »Aber hofft nicht darauf. Wie ich Babkin, unser Väterchen, kenne, steht er morgen zum zweitenmal auf.«
    Man hing noch diesem trüben Gedanken nach, als Pyljow ins Haus stürzte, mit verzerrtem Gesicht und aufgerissenem Kragen. Er war auf dem Weg zur Schule gewesen und japste nun nach Luft, so schnell war er zurückgelaufen.
    »Was höre ich da?« schrie er hysterisch. »Wadim Igorowitsch ist wieder umgefallen? Er liegt wieder tot auf dem Rücken?«
    »Wer sagt das?« schrie Dr. Poscharskij zurück.
    »Sobakin habe ich getroffen. Seinen Koffer will er packen und wegziehen aus Ulorjansk. Wer kann's ihm verübeln? Kommt in die Kirche, will in der Gerätekammer eine Schaufel holen, und wer liegt da auf einem Tisch, stumm und steif? Unser Babkin! Sobakin bekam solch einen Schock, daß er mit der Stirn gegen die Wand rannte und sich einen Riß zuzog. Ist es denn wirklich wahr, meine Lieben?«
    »Wahr ist es, daß er auf einem Tisch in der Gerümpelkammer liegt«, sagte Waninow und nahm Dr. Poscharskij die Wodkaflasche ab. »Unsicher ist, ob er nun wirklich tot ist. Bairam Julianowitsch wagt keine Diagnose mehr. Er verläßt sich darauf, daß Babkin morgen riechen muß, wenn er uns nicht wieder getäuscht hat. Unsere einzige Hoffnung ist ein sichtbarer natürlicher Verfall.«
    »Und … und wenn er nicht eintritt?« Nina Romanowna hatte diesen schrecklichen Gedanken.
    »Dann weiß ich, was ich tue«, knirschte Pyljow, zu allem entschlossen. »Dann nutze ich die Stunde. Dieses Mal enttäuscht uns Babkin nicht mehr …«
    Immerhin unterrichtete man alle Betroffenen, von Narinskij, dem nachbarlichen Metzger, bis hin zu Blistschenkow, dem Genossen Bürgermeister. Aber keiner rührte sich von der Stelle. Gemeinsam hatten sie nur den gleichen Gedanken: Der Himmel strafe Babkin, der so grausam mit dem Sterben spielt.

4
    In der Nacht, wo niemand mehr sie sehen konnte, schlich sich die Familie Babkin in die Kirche, um ihr Väterchen auf dem Tisch in der Gerümpelkammer zu betrachten.
    Echte Trauer kam nicht auf, wen wundert's? Vielmehr beschimpften Nina Romanowna, Schwiegersohn Pyljow, Tochter Nelli und – mitgerissen von den harten Worten – dann auch der Pope Waninow den so still Daliegenden.
    Nur Walentina schloß sich der allgemeinen Empörung nicht an; sie weinte still vor sich hin und betete stumm für ihr Väterchen.
    »Steh auf!« schnauzte Nina ihren erstarrten Gatten an. »Nicht wieder dieses Spiel mit uns!
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