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Auszeit

Auszeit

Titel: Auszeit
Autoren: Marco von Münchhausen
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oder weniger gescheitert. Ändern kann man allenfalls seine Einstellung dazu, also die Frage, wie sehr man sich selbst um die Erreichung von Rang und Namen bemüht, wie wichtig es einem erscheint, diese anderen gegenüber in die Waagschale zu werfen, und wie man selbst andere beurteilt: Ob einen eher der Gouverneur von Kyoto oder der dahinterstehende Kitagaki interessiert.
    In der Entwicklung der Persönlichkeit sind maßgeblich drei Faktoren von Bedeutung: Haben, Tun und Sein. Und in der Regel auch in dieser Reihenfolge: In einem frühen Stadium ist es wichtig, was man hat. So wie Kinder sich stolz ihre Bauklötze zeigen, zeigt man sich später seine Rolexuhr oder die Luxuslimousine. Mit der Zeit kann das Haben zurücktreten, und das Tun wird wichtiger für die Beurteilung seiner selbst wie auch anderer. Nun zählt die Leistung, und das Selbstwertgefühl steht |231| und fällt mit Erfolg und Misserfolg. Mit zunehmender Reife tritt auch die Bedeutung des Tuns als einziges Bewertungskriterium in den Hintergrund, und einzig das Sein bleibt maßgeblich. Das, was man als Mensch einfach ist, mit seinem Charakter, seinen Werten und seiner ganz individuellen Art. Ohne dass man etwas Bestimmtes besitzen oder leisten muss – was nicht bedeutet, dass man nicht gleichzeitig viel besitzen oder leisten kann . Das ist wohl das Eigentliche, was einen Menschen ausmacht und woran auch der Zen-Lehrer interessiert war.
    Doch wie kann man diese Haltung und Reife erreichen? Nun: Entweder man hat sie schon, oder man kann sie mit der Zeit in sich reifen lassen. Die bloße Erkenntnis, mag sie auch der erste Schritt sein, reicht in der Regel noch nicht. Solange unsere inneren Bewertungsmuster noch primär haben- oder leistungsorientiert sind, werden sie unsere Sicht- und Verhaltensweise weiterhin beeinflussen. Doch kann man behutsam sein Augenmerk und damit auch den Kurs der persönlichen Entwicklung mehr und mehr in Richtung Sein lenken. Man kann die Motive hinterfragen, mit denen man versucht, unbedingt einen bestimmten Erfolg oder einen Titel zu erlangen. Man kann bisweilen darauf achten, nach welchen Kriterien man gerade andere Menschen bewertet. Vielleicht gelingt es einem immer häufiger, sich vom Schein nicht mehr so blenden zu lassen und den eigentlichen Menschen hinter seinem Rang und Namen zu sehen. Vielleicht wird man auch feststellen, dass die eigentlichen Freunde im Leben die sind, die uns mögen, weil wir eben sind, wie wir sind, und nicht aufgrund dessen, was wir leisten oder an Titeln erreicht haben.
    Mein Vater lehrte mich in dieser Hinsicht: »Entweder ein Mensch hat inneren Adel, dann braucht er auch den äußeren nicht – oder er hat nur den äußeren Titel, dann liegt noch ein weiter Weg bis zu einer reifen Persönlichkeit vor ihm.« Wo auch immer jemand auf diesem Weg steht: Der Weg vom Schein zum Sein ist wohl einer der entscheidendsten im Leben.

    |232| Fragen zum Nachdenken
Wie wichtig sind mir Leistung und Titel für mein Selbstwertgefühl?
Wonach beurteile ich andere? Was macht einen Menschen für mich interessant und wertvoll? Was macht es aus, ob ich jemanden wirklich mag und mich mit ihm wohlfühle?
Welche Menschen kenne ich, die einfach nur so sind, wie sie sind?

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|233| Literaturverzeichnis
    Brantschen, Niklaus SJ, Vom Vorteil, gut zu sein. Mehr Tugend – weniger Moral, Kösel Verlag 2005
    Buber, Martin, Hundert chassidische Geschichten, Manesse Verlag 2003
    Epiktet, Das Buch vom geglückten Leben, dtv 2005
    Hesse, Hermann, Der Steppenwolf, Suhrkamp 2005
    Johnson, Spencer, Eine Minute für mich, Rowohlt 2002
    Kübler, Roland, Die Mondsteinmärchen. Ein Märchenbuch nicht nur für Erwachsene, Knaur 2004
    Lelord, François, Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück, Piper 2004
    Lindbergh, Anne Morrow, Muscheln in meiner Hand. Eine Antwort auf die Konflikte unseres Daseins, Piper 1985
    Mercier, Pascal, Nachtzug nach Lissabon, Hanser 2004
    Schwanfelder, Werner, Buddha und der Manager, Campus 2005
    Till, Marietta, Lautlos schreien, unbewegt tanzen. Geschichten und Parabeln aus aller Welt, Drei Eichen 1992

    Abdruck der folgenden Textpassagen mit freundlicher Genehmigung:

    S. 17: Anne Morrow Lindbergh, Muscheln in meiner Hand. Eine Antwort auf die Konflikte unseres Daseins. Aus dem Amerikanischen von Maria Wolff. Übertragung der Gedichte von Peter Stadelmeyer. © 1958 Piper Verlag GmbH, München

    S. 44 ff.: Pascal Mercier, Nachtzug nach Lissabon. Roman. © 2004 Carl Hanser Verlag,
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