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Auszeit

Auszeit

Titel: Auszeit
Autoren: Marco von Münchhausen
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über Jahrtausende viel Zerstörung und Leid bewirkt hat, immer im Zeichen vermeintlich gerechter Rache: Akte der Blutrache und Stammesfehden, die zur Auslöschung ganzer Völker geführt haben, Vergeltungsschläge des Terrors und viele andere schreckliche Unternehmungen – im Namen Gottes, der Gerechtigkeit oder sogar der Liebe … »Auge um Auge, Zahn um Zahn,« so steht es schon in der Bibel, im Alten Testament, und geschrieben oder ungeschrieben gilt es auch in fast allen anderen Kulturen der Erde. – Ganz anders die Botschaft Jesu hierzu im Neuen Testament:
    Jesus wurde von Petrus gefragt, wie oft er seinem Bruder vergeben solle, wenn dieser an ihm gesündigt habe, ob siebenmal genug seien. Doch Jesus antwortete: »Nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal.« – Das Himmelreich sei gleich einem König, der mit seinen Knechten |206| abrechnen wollte. Einem seiner Knechte, der ihm zehntausend Pfund schuldete, drohte er die härtesten Folgen an, falls er nicht bezahlen würde. Doch auf dessen Bitten und Flehen bekam er Erbarmen und erließ ihm all seine Schuld. Derselbe Knecht aber begegnete kurz darauf einem seiner Mitknechte, der ihm die geringe Summe von hundert Silbergroschen schuldete. Als er diesen nun aufforderte seinerseits zu bezahlen, bat ihn der Mitknecht inständig um Geduld und Aufschub. Doch der Knecht selbst blieb hart und warf ihn in den Schuldturm, um ihn zur Zahlung zu zwingen. Als nun der König davon erfuhr, ließ er den Knecht zu sich rufen und sprach: »Du Schalksknecht, all diese Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest, hättest du da nicht auch Erbarmen haben sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?« In seinem Zorn ließ nun auch der König den Knecht in den Schuldturm werfen, bis er bezahlt habe, was er schuldig war. So werde auch der himmlische Vater handeln, wenn jemand nicht von Herzen seinem Bruder vergebe.

    Nach Matthäus 18, 21–35
    Ein hohes Ideal, das fast lebensfremd und übermenschlich klingt. Wie schwer es ist, entsprechend zu handeln, zeigt die gesamte Geschichte des Christentums, die voller Zerstörungs- und Vergeltungsakte ist, obwohl die Vergebung auf seinen Fahnen stand.
    Anscheinend sind wir hier immer wieder mit einem verhängnisvollen psychologischen Mechanismus konfrontiert: Selbst wenn man verzeihen will – die erlittene Tat lässt sich nun mal nicht einfach aus unserer Erinnerung löschen wie ein Dokument auf der Festplatte des Computers. Und je größer die eigene Verletzung, desto zerstörerischer die Rachegedanken. Wie ein mächtiger innerer Zwang, dem zu widerstehen alles andere als |207| leicht ist. Und natürlich stellt sich jenseits von moralischen Imperativen die ganz pragmatische Frage: Warum überhaupt vergeben? Und wenn, wie funktioniert das denn?
    Wie mittlerweile psychologische Forschungen bestätigt haben, ist es keineswegs notwendig, Verzeihen und Vergeben religiös oder moralisch zu begründen. Es ist Ausdruck psychischer Reife und Einsicht, und wir tun es letztlich um unserer selbst willen, damit es uns seelisch besser geht. Warum?
Durch den Akt des Vergebens befreien wir uns davon, emotional an die andere Person gebunden zu bleiben und jedes Mal negative Gefühle zu bekommen, wenn wir an sie denken. Wir setzen damit viel blockierte Lebensenergie frei, die wir für sinnvollere Ziele einsetzen können, als auf Rache zu sinnen, die letztlich nichts bringt, als meistens die Angelegenheit noch zu verschlimmern. Nachsehen ist gewissermaßen viel leichter als Nachtragen.
Wir können wieder die Verantwortung für uns und unsere Handlungen übernehmen und auf die infantile Opferrolle verzichten, die nach dem sinnlosen Motto deklamiert: »Mir geht es schlecht, weil …« Erst wenn wir diese Haltung loslassen, sind wir wieder handlungsfähig. Und dieser Akt ist kein Zeichen innerer Schwäche, im Gegenteil: Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken. Der Schwache kann nicht verzeihen. Das vermittelte schon Mahatma Gandhi.
    Wer also erfüllter und innerlich friedvoller leben will, tut gut daran anderen zu vergeben. Doch ist dies keineswegs leicht, und unsere natürliche Programmierung scheint dies zunächst nicht zu unterstützen. Letztlich erfolgt der Prozess des Vergebens in drei Phasen: »Weg vom anderen – hin zu sich selbst – und dann wieder zurück«. Das heißt:
Als erstes gilt es, innerlich von der anderen Person, die uns |208| etwas angetan hat, auf Distanz zu gehen, um uns emotional zu lösen. In der
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